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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen
Autoren: Pam Jenoff
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Leinen, in dem vor mir meine Mutter und meine Großmutter geheiratet haben. Obwohl wir in die Kamera blicken sollen, haben wir einander den Kopf zugewandt, mein Mund ist leicht geöffnet, da ich über einen Witz lachen muss, den mein Mann mir in dem Moment zuflüstert.
    Ursprünglich wollten wir mit der Heirat noch ein Jahr warten, bis Jakub seinen Abschluss hatte. Doch 1938 marschierten deutsche Truppen ins Sudetenland ein, und kein Land in Westeuropa unternahm etwas dagegen. Hitler stand an der Grenze zu Polen, jederzeit zum Angriff bereit. Wir hatten davon gehört, wie grausam die Nazis im Deutschen Reich in Deutschland und in Österreich die Juden behandelten. Wer vermochte schon zu sagen, was aus unserem Leben würde, sollten die Deutschen in Polen einfallen? Darum entschieden wir, es sei besser, sofort zu heiraten und sich gemeinsam einer ungewissen Zukunft zu stellen.
    Jakub machte mir an einem schwülwarmen Sonntagnachmittag einen Heiratsantrag, als wir wieder einmal am Fluss spazieren gingen. “Emma …” Er blieb stehen, drehte sich zu mir und kniete vor mir nieder. Sein Antrag kam für mich nicht völlig überraschend, denn am Morgen zuvor war Jakub mit meinem Vater in die Synagoge gegangen. An der nachdenklichen Art, mit der Vater mich nach seiner Rückkehr aus der Synagoge ansah, erkannte ich, dass sie nicht über Politik oder Religion, sondern über die gemeinsame Zukunft von Jakub und mir gesprochen hatten. Dennoch kamen mir die Tränen. “Wir leben in einer Zeit der Ungewissheit”, begann Jakub, und ich musste mir ein Lachen verkneifen. Nur ein Mann wie er konnte aus einem Heiratsantrag eine politische Rede machen. “Aber ich weiß, egal was uns erwartet, ich möchte meinem Schicksal gemeinsam mit dir begegnen. Würdest du mir die Ehre erweisen und meine Frau werden?”
    “Ja”, hauchte ich, als er den silbernen Ring mit einem eingefassten winzigen Diamanten über meinen linken Ringfinger schob. Er stand auf und küsste mich, länger und leidenschaftlicher als je zuvor.
    Wenige Wochen später heirateten wir unter einem Baldachin im eleganten Salon der Baus, nur unsere engsten Familienangehörigen waren anwesend. Nach der Zeremonie brachten wir meine wenigen Habseligkeiten in das freie Zimmer im Haus von Jakubs Eltern. Professor Bau und seine Frau brachen kurz darauf für ein Ferienjahr nach Genf auf, sodass Jakub und ich das Haus ganz für uns allein hatten. Ich war in einer winzigen Dreizimmerwohnung aufgewachsen, und es war für mich ungewohnt, in solchem Luxus zu leben. Die hohen Decken und die polierten Holzböden schienen eher zu einem Museum zu passen. Anfangs fühlte ich mich fehl am Platz, so wie ein Dauergast in einem riesigen Haus, doch ich lernte recht schnell, dieses großzügige Heim zu lieben, in dem es Musik, Kunst und Bücher gab. Nachts lagen Jakub und ich wach und erzählten uns von unseren Träumen. Wir konnten es kaum abwarten, im Jahr nach seinem Abschluss vielleicht in der Lage zu sein, uns ein eigenes Haus zu kaufen.
    An einem Freitagnachmittag, drei Wochen nach unserer Hochzeit, beschloss ich, ins jüdische Viertel Kazimierz zu gehen und aus der Bäckerei meiner Eltern etwas Challah-Brot für das Abendessen zu holen. Als ich das Geschäft erreichte, drängten sich darin bereits die Kunden, die wegen des Schabbes in Eile waren. Ich stellte mich zu meinem Vater hinter die Theke, um ihm zu helfen. Eben hatte ich einer Kundin das Wechselgeld gegeben, da riss ein kleiner Junge die Ladentür auf. “Die Deutschen greifen an!”, rief er aufgeregt.
    Ich erstarrte mitten in meiner Bewegung. Im Laden herrschte sofort Totenstille. Mein Vater holte rasch das Radio aus dem Hinterzimmer und schaltete es ein, die Kunden drängten sich um den Apparat, um die Nachrichten zu hören. Die Deutschen hatten die Westerplatte nahe Gdańsk angegriffen. Polen und das Deutsche Reich befanden sich im Krieg. Einige Frauen im Geschäft fingen leise an zu weinen. Der Radiosprecher verstummte, stattdessen wurde die polnische Nationalhymne gespielt. Ein paar Leute um mich herum stimmten inbrünstig mit ein. “Die polnische Armee wird uns verteidigen”, hörte ich Pan Klopowitz, einen Veteran aus dem Großen Krieg, sagen. Aber ich kannte die wahren Verhältnisse und wusste genau, wie es um uns bestellt war. Die polnische Armee bestand zum größten Teil aus Kavallerie und Fußsoldaten, die den Panzern und den Maschinengewehren der deutschen Wehrmacht nichts entgegenzusetzen hatten. Ich sah zu meinem
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