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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen
Autoren: Pam Jenoff
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streichen, und verlor mich für einen Augenblick in Erinnerungen. Jakub hatte mir die Romane geschenkt, kurz nachdem wir uns das erste Mal trafen. Jeden Tag besuchte er mich damals in der Bibliothek, und oft brachte er mir ein kleines Geschenk mit, mal einen Apfel oder eine Blume – oder eben ein Buch. Zunächst musste ich darüber lachen. “Du bringst Bücher in eine Bibliothek?”, zog ich ihn auf, während ich den dünnen, in Leder gebundenen Band musterte. Es war eine übersetzte Ausgabe von Charles Dickens’
Große Erwartungen
.
    “Ich bin mir sicher, dass du dieses noch nicht hast”, überging er meine Neckerei und hielt mir das Buch hin. In seinen braunen Augen lag ein Lächeln. Es stimmte, was er sagte: Auch wenn ich etliche Bücher gelesen hatte, so besaß ich doch kein einziges davon. Meine Eltern hatten mich zum Lernen ermutigt und mich auf eine jüdische Mädchenschule geschickt, solange sie das Geld dafür aufbringen konnten. Aber Bücher zu
besitzen
war – abgesehen von der Familienbibel und dem Gebetsbuch – ein Luxus, den wir uns nicht leisten konnten. Jedes der Bücher, die Jakub mir brachte, behandelte ich wie eine kleine Kostbarkeit, und ich verriet ihm niemals, dass ich fast alle bereits in der Bibliothek gelesen hatte, einige sogar oft genug, um den Inhalt auswendig zu kennen. Ich las jedes einzelne noch einmal (jetzt, da es mein eigenes Buch war, erschien mir die Geschichte irgendwie anders als zuvor), und legte es dann in die Schublade meiner Kommode, wo es sicher verwahrt war. Diese Bücher gehörten zu den wenigen Habseligkeiten, die ich mitnahm, als ich vom Haus meiner Eltern in das meiner Schwiegereltern zog.
    Beim Gedanken daran, wie Jakub mir das erste Buch schenkte, brannten meine Augen. Wo bist du?, fragte ich leise und starrte das Regal an. Und wann wirst du zurückkommen? Ich wischte die Tränen fort und betrachtete die Bücher. Ich kann sie nicht alle mitnehmen, dachte ich. Sie wiegen zu viel. Dennoch würde ich sie nicht alle hier zurücklassen. Schließlich zog ich zwei Bücher aus dem Stapel und packte sie in eine Tasche.
    Mit Koffer und Taschen bepackt ging ich langsam Richtung Haustür. Mein Blick wanderte über die roséfarbenen Seidenvorhänge, die mit bronzefarbener Kordel elegant von den hohen Fenstern zurückgehalten wurden, weiter zum Porzellan mit Goldrand in der Vitrine neben dem Salon. Wenn das Haus leer stand, wer würde dann die Landstreicher oder sogar die Deutschen davon abhalten, es zu plündern? Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, doch zu bleiben. Aber Jakub hatte recht damit, dass ich hier nicht in Sicherheit war. Durchsuchungen durch die Gestapo waren an der Tagesordnung, und die jüdischen Besitzer vieler erstklassiger Wohnungen in der Innenstadt waren bereits enteignet worden. An ihrer Stelle hatten sich in den herrschaftlichen Häusern hochrangige deutsche Offiziere niedergelassen. Mir ging der Gedanke durch den Kopf, etwas von den wertvollen Gegenständen der Baus mitzunehmen, um sie in Sicherheit zu bringen, vielleicht einige kleinere Gemälde oder die silbernen Kerzenhalter. Doch selbst wenn ich sie irgendwie bis in die winzige Wohnung meiner Eltern hätte schaffen können, wären sie dort nicht sicherer aufgehoben als hier. Im Foyer blieb ich noch einmal stehen und schaute mich ein letztes Mal um, dann zog ich die Tür hinter mir zu.
    Ich ging die ulica Grodzka entlang, aus dem Stadtzentrum hinaus in Richtung jüdisches Viertel. Je weiter ich kam, umso schäbiger wurden die Häuser und umso enger die Straßen. Unwillkürlich musste ich daran denken, wie ich es Jakub zum ersten Mal erlaubte, mich von der Bibliothek nach Hause zu begleiten. Über Monate hinweg hatte er es mir angeboten, doch ich lehnte jedes Mal ab. Ich fürchtete, dass er im Angesicht der krassen Gegensätze unser beider Welten für immer aus meinem Leben verschwinden würde. Als wir das jüdische Viertel schließlich erreichten, beobachtete ich sein Mienenspiel genau. So wie er die Lippen aufeinanderpresste und seinen beschützenden Arm fester um mich legte, spürte ich, dass er zutiefst betroffen war vom Anblick der allgegenwärtigen Armut, den heruntergekommenen Häusern und den schäbig gekleideten Menschen. Nie ließ er jedoch ein Wort darüber verlauten, seine Zuneigung zu mir schien von diesem Tag an nur noch stärker zu sein. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er entschlossen war, mich aus dieser Welt herauszuholen. Bis heute, bis zu diesem Augenblick, dachte
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