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Morgengrauen

Morgengrauen

Titel: Morgengrauen
Autoren: Stefan Ummenhofer , Alexander Rieckhoff
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1. FRÜHSCHWIMMER
    Die Turmglocken des Villinger Münsters schlugen gerade erst Viertel nach sechs, als Verena Böck ihr Fahrrad durch den Hausflur auf die Obere Straße schob. Sie trat hinaus in die menschenleere Fußgängerzone der alten Zähringerstadt, warf einen flüchtigen Blick auf die prachtvollen Zwillingstürme und schwang sich dann auf das alte schwarze Fahrrad, das ihr einst vom Großvater vermacht worden war. Darauf hatte sie schwer zu treten, von Gangschaltung keine Spur, doch tat das ganz gut und wärmte etwas auf in der morgendlich kühlen Luft. Zwar war tagsüber der Frühsommer auch bis zu den Schwarzwaldhöhen vorgedrungen und konnte für dreißig Grad und mehr sorgen, frühmorgens war man Mitte Juni von mediterranen Temperaturen jedoch noch weit entfernt.
    Gerade mal sieben Grad hatte das Thermometer auf der Dachterrasse angezeigt. Beim Blick auf die Quecksilbersäule hatte es Verena gefröstelt. Zumal bei der Aussicht, sich gleich ins kalte Nass des Villinger Kneippbads zu stürzen.
    Das war Verenas neueste Entdeckung in Sachen Fitnesstrip. Denn auf dem befand sie sich seit der Trennung von Frank. Während des Studiums hatten sie sich kennengelernt, zwölf Jahre lang waren sie ein Paar gewesen, hatten gemeinsam alle Höhen und Tiefen durchlebt. Kurz vor der lange geplanten Hochzeit und unmittelbar nachdem er Professor geworden war, hatte Frank dann etwas mit einer Sekretärin aus der Fachhochschule angefangen: Irene.
    Verena hatte mit achtunddreißig plötzlich alleine dagestanden und mitansehen müssen, wie Irene ihren täglich runder werdenden Bauch voller Stolz zur Schau trug. Frank war daran alles andere als unschuldig. Dabei hatte er doch nie Kinder gewollt …
    »Irene, dieses blonde Flittchen«, zischte Verena vor sich hin, als sie ihr Vehikel den Brigachweg entlangsteuerte. Eigentlich hatte sie sich all diese Gedanken schon mehrfach kategorisch verboten. Zwar war Frank längst aus der gemeinsamen Dachwohnung in der Villinger Innenstadt ausgezogen, doch die dienstliche Nähe zu ihrem Ex blieb. Er arbeitete an der Schwenninger Berufsakademie, während Verena nicht weit entfernt in der Fachhochschule ihre Brötchen verdiente. Ebenso wie Frank war sie Wirtschaftswissenschaftlerin.
    Mindestens dreimal die Woche sah man sich beim Mittagessen im »Vau«, in Fachkreisen auch »Professorenmensa« genannt. Dort turtelte Frank ungeniert vor ihren Augen mit Irene herum. Sie spielten das hemmungslos verliebte Paar – und diese Zicke Irene schien es zu genießen, dass sie einer Professorin den Mann ausgespannt hatte.
    Seit einem halben Jahr ging das schon so. Es quälte sie, doch damit sollte jetzt endlich Schluss sein: Sie musste ihr Privatleben neu ordnen.
    Natürlich hätte sie mit einem ihrer Kollegen anbandeln können. Die Auswahl war groß und multikulturell – vom Asiaten bis zum Australier. Doch Berufliches und Privates würde sie nie wieder vermischen.
    Verena erhöhte die Trittfrequenz, als sie nun rechts die in Richtung Donau plätschernde Brigach neben sich hatte. Zum Frühschwimmen wollte sie keinesfalls zu spät kommen, denn der Kampf um die Bahnen war sonst hoffnungslos verloren.
    Sie durchfuhr die Sebastian-Kneipp-Straße mit ihren üppigen Baumalleen und ihren verträumten kleinen Villen. Dann warf sie einen Blick in Richtung des SABA-Areals. Der Firmenname prangte immer noch in großen blauen Lettern über dem Hauptgebäude. Von hier aus hatte die »Schwarzwälder Apparate-Bau-Anstalt« einst Radios und Fernseher in die ganze Welt exportiert. Über 2500 Menschen hatten an der Schwarzwälder Hochtechnologie gefeilt, Villinger ebenso wie Nachbarn aus Schwenningen, mit denen sie seit 1972 zur gemeinsamen Stadt vereint waren. Doch wegen der aufkommenden Billigkonkurrenz aus Fernost war damit Schluss gewesen. Ihr altes SABA-Radio, Typ »Villingen«, lief hingegen immer noch wie ein Schwarzwälder Uhrwerk.
    Verena nahm einen tiefen Atemzug, als sie in den Kurpark am Villinger Stadtrand hineinfuhr. Die morgendliche Schwarzwaldluft mochte noch so kalt sein, aber gesund war sie allemal. »Luftkurort« hatte sich das Städtchen mal nennen dürfen. Doch von Kurgästen war kaum noch eine Spur, schon gar nicht um diese Uhrzeit. Und der Kurpark, den Verena gerade längs der Brigach passierte, war etwas in die Jahre gekommen.
    Ein kurzer Blick auf die Armbanduhr: 6.27 Uhr. Gerade noch rechtzeitig kam sie am Eingangstor des Kneippbads an, vor dem bereits fast zwei Dutzend Badegäste
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