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In den Städten, in den Tempeln

In den Städten, in den Tempeln

Titel: In den Städten, in den Tempeln
Autoren: Andreas Horst & Brandhorst Pukallus
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1. Kapitel
     
     
    Es stank auf dem Kommunikationsdeck des Gestutzten Adlers . Claybourne S. Dalmistro haßte es, seine Kabine in dem für Reisende der Luxusklasse vorbehaltenen Oberen Bereich des Linienschiffes zu verlassen, und ganz besonders haßte er den Geruch, der ihm nach der Schwellenbarriere der beiden Decks entgegenwehte. Er weckte Erinnerungen und schärfte trübe Bilder mit neuem Kontrast: die Tiefstadt von Metrocago, eine Dämmerung, die nur selten von einem Sonnenstrahl vergoldet wurde, ein Kampf, der selbst in Träumen seine Fortsetzung fand – ein Krieg, den er vor einigen Jahren gewonnen hatte.
    »Die Passagiere mit abonniertem Kontakt werden gebeten, sich unverzüglich zu den Verbindungszellen zu begeben«, ertönte eine blecherne Stimme aus den Lautsprechern. »Dies ist der letzte Kontakt bis zur Landung auf der Venus. Die Passagiere mit abonniertem Kontakt ...«
    Die Ankündigung ging in dem Lärm unter, der auf der Kommunikationsebene herrschte. Der Korridor verbreiterte sich und mündete in eine weite Halle. Hier und dort zeigten sich Schimmelflecken an den kahlen Metallplastwänden, und der Bodenbelag aus Decorvelours war an vielen Stellen abgescheuert. In den Sitzinseln der Gemeinschaftszone war – wie immer – kein Platz mehr frei. Die Zwischendeck-Reisenden hielten sich beinahe ständig in diesem Bereich auf und mieden ihre engen Kabinen. Betrunkene stierten mit trüben Augen in die Leere, selbsternannte Ausrufer und Verkünder priesen ihre trivialen Botschaften, und einige Jugendliche waren damit beschäftigt, einen Stockfleck mit phosphoreszierenden Worten zu überpinseln: Wir wissen nicht, was das Morgen bringt, aber vielleicht ist das Heute übermorgen schon gestern ... Clay blieb kurz in dem allgemeinen Durcheinander stehen und beobachtete die Kichernden. Es waren Realitätsverrückte, Aussteiger wider besseres Wissen, Tiefstädtler, die den Kampf aufgegeben und deshalb verloren hatten. Sie hatten nicht die Kraft, die ihn auszeichnete. Sie flohen, und Clay dachte mit grimmiger Befriedigung: Ein paar weniger, um die sich unsere Aufräumer kümmern müssen. Sie haben es nicht besser verdient. Selbstaufgabe ist der erste Schritt in den sicheren Untergang.
    »Und ich sage euch, die Erde ist ein Tollhaus, eine Bienenwabe, gefüllt mit umherkriechenden Maden, ein einziger wimmelnder Haufen ...« Der Greis, der diese Worte mit zittriger Stimme über die Lippen brachte, nickte selbstbestätigend. »Sollen sie sich doch alle selbst in die Luft jagen. Im Feuer liegt Reinheit, und nur heiße Flammen können den Menschen läutern. Hört auf mich, meine Brüder und Schwestern: Dort, wo keine Pestizide mehr wirken, muß Feuer brennen. Die Energie der Kernspaltung ist ein Geschenk Gottes. Und das Bersten der Atome wird einen neuen Menschen gebären ...«
    »Sie sollten sich beeilen, Comptroller«, sagte Tasche, und Clay starrte kurz auf die neben ihm schwebenden schwarzen Koffer. Der Greis auf dem selbsterrichteten Podium – in seinem ausgemergelten, eingefallenen Gesicht zeigten sich alle Anzeichen einer fortgeschrittenen Smog-Vergiftung – streichelte die große Muratte an seiner Seite. Clays Wut wuchs. Wie er dies alles haßte – die Schatten seiner Vergangenheit, die realen Erinnerungen an sein Leben, das ihm nun wie ein Alptraum erschien. Und wenn er daran dachte, daß Shereen sich jetzt in solcher Gesellschaft befand, daß vielleicht die runzligen Finger eines Drogenträumers oder smogvergifteten Tiefstädtlers über ihre Haut strichen, die weichen Wangen, die ... Er versuchte, diese Vorstellung zu verdrängen, denn sie war wie Öl für die Flammen seines Zorns. Die Muratte zischte ihn an, als er sich an dem lamentierenden Greis vorbeischob und seine Schritte den Verbindungszellen entgegenlenkte.
    »Wir haben noch genau siebenunddreißig Sekunden«, sagte Tasche an seiner Seite. Clay nickte nur und gab einen brummenden Laut von sich. Er hätte einen Liner von »Mit-uns-kommen-Sie-sicher-und-bequem-ans-Ziel« nehmen sollen; die Gesellschaft war in Metrocago ansässig, und an Bord ihrer Schiffe arbeiteten professionelle Aufräumer, die nicht zuließen, daß sich solches Tiefstadtgesindel breitmachte. Der Gestutzte Adler jedoch war die schnellste Verbindung zur Venus gewesen. Shereen, dachte Clay, und er ballte die Fäuste.
    Vor einem Großteil der Verbindungszellen schimmerten bereits die Abschirmfelder. Tasche summte und begleitete den Comptroller an den Komnischen entlang. In der ersten
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