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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen
Autoren: Pam Jenoff
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schwer, meine Begeisterung darüber im Zaum zu halten, dass ich das Haus verlassen habe und wie ein ganz normaler Mensch spazieren und einkaufen gehe. Während wir uns durch die schmalen Gänge an den Ständen vorbei bewegen, höre ich, wie sich die Leute beklagen. Der Kohl ist blass und verwelkt, das Brot hart und trocken. Das wenige angebotene Fleisch ist von unbekannter Herkunft und verströmt bereits einen sonderbaren Geruch. Für die Menschen in den Städten und Dörfern, die die reiche und gute polnische Ernte aus der Zeit vor dem Krieg kennen, sind diese Lebensmittel ein Skandal. Ich dagegen fühle mich so sehr wie im Paradies, dass sich mein Magen verkrampft.
    “Zwei Laibe”, sage ich zum Bäcker und halte den Kopf gesenkt, als ich ihm meine Lebensmittelmarken gebe. Ein merkwürdiger Ausdruck huscht über sein Gesicht, aber ich rede mir ein, dass ich mir das nur einbilde. Ich muss Ruhe bewahren. Ich weiß, für einen Fremden sehe ich aus wie eine beliebige Polin. Mein Haar hat einen hellen Farbton, ich spreche die Sprache akzentfrei, und ich trage ein bewusst unauffälliges Kleid. Krysia wählte absichtlich diesen Markt in einem Arbeiterviertel am nördlichen Stadtrand aus, wohl wissend, dass keiner meiner früheren Bekannten zum Einkaufen hierherkommen würde. Es ist von größter Wichtigkeit, dass niemand mich erkennt.
    Ich schlendere von Stand zu Stand und gehe im Geiste durch, welche Besorgungen ich machen muss: Mehl, einige Eier, ein Hühnchen, falls es eines geben sollte. Noch nie habe ich Einkaufszettel geschrieben, was mir nun zugutekommt, da Papier so knapp geworden ist. Die Händler sind freundlich, jedoch zurückhaltend. Eineinhalb Jahre nach Kriegsausbruch sind die Lebensmittel knapp geworden, und für ein freundliches Lächeln gibt es kein Stück Käse extra. Auch die großen blauen Augen des Jungen können niemanden zu einer süßen Beigabe verleiten. Nach kurzer Zeit habe ich all unsere Lebensmittelmarken aufgebraucht, trotzdem ist mein Einkaufskorb noch halb leer. Wir machen uns auf den langen Heimweg.
    Mir ist noch immer kalt von dem schneidenden Wind auf dem Marktplatz, als ich Łukasz durch Seitenstraßen zurück durch die Stadt führe. Wenige Minuten später biegen wir in die ulica Grodzka ein, eine breite, mit eleganten Geschäften und Häusern gesäumte Hauptstraße. Ich zögere, denn ich hatte gar nicht herkommen wollen. Mir ist, als würde eine zentnerschwere Last auf meine Brust drücken und mir die Luft zum Atmen nehmen. Ganz ruhig, sage ich zu mir. Du kannst das. Es ist eine Straße wie jede andere. Ein paar Meter weit gehe ich, dann bleibe ich wieder stehen. Ich befinde mich vor einem blassgelben Haus mit einer weißen Tür und mit Blumenkästen vor den Fenstern. Mein Blick wandert nach oben zum ersten Stockwerk. Ich fühle einen Kloß im Hals und kann nur mit Mühe schlucken. Denk nicht nach, ermahne ich mich, doch es ist zu spät. Dies hier war Jakubs Haus. Unser Haus.
    Ich begegnete Jakub, als ich als Angestellte in der Universitätsbibliothek arbeitete. Es war an einem Freitagnachmittag. Ich erinnere mich noch so genau daran, weil ich mich beeilte, den Katalog auf den neuesten Stand zu bringen, um zeitig zum Schabbes zu Hause zu sein. “Entschuldigen Sie”, hörte ich eine tiefe Stimme neben mir sagen. Verärgert über diese Unterbrechung sah ich von meiner Arbeit auf. Der Mann war von mittlerer Größe, hatte einen kurz geschnittenen Bart und trug eine kleine Jarmulke. Sein braunes Haar war mit rötlichen Sprenkeln durchsetzt. “Können Sie mir ein gutes Buch empfehlen?”
    “Ein gutes Buch?” Das unergründliche Dunkel seiner Augen überraschte mich ebenso wie die beiläufige Art seiner Frage.
    “Ja, ich würde über das Wochenende gern etwas Leichtes lesen, um mich von meinem Studium abzulenken. Vielleicht die Ilias …”
    Unwillkürlich musste ich lachen. “Homer ist für Sie leichte Literatur?”
    “Im Vergleich zu Texten über Physik ganz sicher.” Kleine Fältchen bildeten sich an seinen Augenwinkeln. Ich führte ihn in die Literaturabteilung, wo er sich für einen Band mit Shakespeare-Komödien entschied. Meine Hand berührte leicht seine, als ich ihm das Buch gab, und ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich trug das Buch als ausgeliehen ein, doch der Mann hielt sich weiter in der Bibliothek auf. Er verriet mir, er heiße Jakub und sei zwanzig Jahre alt, also zwei Jahre älter als ich.
    Von nun an besuchte er mich jeden Tag in der Bibliothek. Schnell
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