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Der Khmer-Job

Der Khmer-Job

Titel: Der Khmer-Job
Autoren: Barry Eisler
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Hotel kommen wollte, senkte sie den Blick, als wäre ihr das peinlich. Er überlegte, ob er mit seiner Einschätzung vielleicht falsch gelegen hatte und zu forsch vorgegangen war. Aber dann nickte sie. Ihm war nicht einmal klar, ob eine Bargebühr für sie fällig wurde. Daher beschloss er, das Thema zu umgehen, indem er ein extragroßes Trinkgeld auf die Getränkerechnung aufschlug.
    Sie nahmen ein Tuk-Tuk ins Hotel. Sie war schüchtern und unsicher, als sie das Zimmer betraten. Das machte ihm nichts aus. Er mochte sie und außerdem konnte er jederzeit eine Frau fürs Bett kriegen, eine Nacht ohne würde ihn nicht umbringen. Er sagte, dass er nichts tun würde, was sie nicht wollte, und dass sie gerne die Nacht hier verbringen konnte. Es gab zwar nur ein Bett, aber sie konnten die Kleider anbehalten, kein Problem.
    Genauso machten sie es. Hauptsächlich sprach sie, erzählte von ihrer Familie, ihrer Stadt, ihren Hoffnungen für die Zukunft. Ihr Vater war Tuk-Tuk-Fahrer, ihre Mutter führte den Haushalt, kümmerte sich um die beiden Brüder und eine Schwester underledigte Näharbeiten für ein paar Schneider in der Stadt, um etwas dazuzuverdienen. Sie lebten in einem kleinen Wohnblock und schliefen alle in einem Raum. Das Bad teilten sie sich mit den Nachbarn. Ihre Eltern waren aufgrund der Massaker der Roten Khmer als Waisen aufgewachsen und das älteste Kind zur Universität zu schicken, verlangte ihnen große Opfer ab – so große, dass wohl keines von Chantreas Geschwistern diese Chance haben würde. Sie berichtete das ganz sachlich und antwortete ebenso, wenn er nachfragte. Trotzdem überlegte er, was davon stimmte. Jedes Bargirl in Südostasien verstand sich darauf, Geschichten über sterbende Großmütter, kranke Babys oder alters-schwache Wasserbüffel zu erzählen. Dabei ging es nur darum, dem reichen, ausländischen Kunden ein schlechtes Gewissen einzuimpfen.
    Irgendwann döste er ein und sie lachte ihn aus. Als er sich entschuldigte, gab sie ihm einen Kuss, ganz flüchtig, auf den Mund. Das weckte ihn wieder auf und nachdem er ihr bezauberndes Gesicht einen Moment lang betrachtet hatte, nur ein paar Zentimeter von seinem entfernt, erwiderte er den Kuss. Ihre Lippen waren weich und er mochte ihren Duft – nach Blüten und einem Hauch von exotischen Gewürzen. Ihm war klar, wenn der Kuss auch nur ein bisschen länger andauerte, würde er sie zu mehr überreden wollen und enttäuscht sein, wenn es ihm nicht gelang. Oder sich später wegen des Versuchs wie ein Rohling vorkommen. Daher brach er den Kuss bedauernd ab und sagte: »Schöne Träume, Chantrea.«
    Am nächsten Morgen stand sie zeitig auf, um zur Uni zu gehen. Er hätte sie gerne nach unten in die Lobby begleitet und ihr ein Tuk-Tuk gerufen, doch er spürte, dass es ihr peinlich gewesen wäre, wenn das Hotelpersonal sie zusammen sah. Also warf er einfach einen Blick durch den Spion und entriegelte die Tür. Bevor er sie öffnete, hielt er inne und sah sie an.
    »Miss Chantrea dürfte ich das Vergnügen Ihrer Gesellschaft ein andermal wieder genießen, falls Ihre Studien es erlauben?«
    Eine Sekunde verstrich. »Warum?«, fragte sie und sah zu Boden.
    Er lachte. Entweder sie war tatsächlich so unschuldig und unbeholfen oder sie war eine mächtig gute Schauspielerin. »Nun, weil ich dich mag.«
    »Ich mag dich auch. Aber ... wir haben nicht ...«
    Er zog fünf Zwanziger aus der Tasche – ein Trinkgeld, das selbst dann lächerlich hoch gewesen wäre, wenn er letzte Nacht entsprechend auf seine Kosten gekommen wäre. Er hoffte, dass er sich nicht zum Narren machte. Vielleicht verfügte sie über außergewöhnlich gute Menschenkenntnis und war eine vollendete Betrügerin, hatte gleich gespürt, wie sie ihn melken konnte, ohne auch nur ein bisschen Gebumse als Gegenleistung anbieten zu müssen. Aber es war ihm egal. Was für ein Mensch wäre er, wenn er einem netten Mädchen nicht half, nur weil die geringe Wahrscheinlichkeit bestand, dass sie es nicht wirklich nötig hatte? Manchmal musste man einfach so handeln, als wäre etwas die Wahrheit, selbst wenn es nicht stimmte.
    Sie sah die Geldscheine an. »Warum?«, wiederholte sie, ohne Anstalten zu machen, danach zu greifen.
    »Hast du mir letzte Nacht die Wahrheit gesagt über deine Familie?«
    Sie nickte.
    Er griff nach ihrer kleinen Hand und faltete die Banknoten hinein. »Dann nimm das. Ich bin nur noch ein paar Tage in der Stadt. In der Zwischenzeit würde ich dich gerne wiedersehen. Und ich möchte
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