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Der Kannibalenclan

Der Kannibalenclan

Titel: Der Kannibalenclan
Autoren: Jaques Buval
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verwerflichsten Arten der Sexualität suhlen. Sie opfern ihren kindlichen Körper, um zu überleben.
    Meist verstehen sie nicht einmal, was mit ihnen geschieht. Sie mussten sehr schnell lernen, was es heißt, durch Befriedigung anderer Geld zu verdienen, um nicht zu verhungern.
    Sie hausen in den Kellern verlassener und verwahrloster Häuser oder in den Schächten der Kanalisation. Bettelnd ziehen sie durch die Straßen, stets auf der Suche nach etwas Essbarem. Wenn sie Hunger leiden, schnüffeln sie Klebstoff –
    die Droge der Armen, der Straßenkinder. Es ist eine Droge, die langsam das Gehirn zerstört, das Sprachzentrum vernichtet.

    Die Droge macht sie zu einer leichten Beute für skrupellose Verbrecher. Ihr Hunger wird dadurch betäubt, doch auch ihr Verstand.
    Als die Schlote der Stahlwerke noch rauchten, bekamen sie in der Schule ein warmes Essen. Doch das ist längst vorbei.
    Heute wird der Kauf eines Schulheftes zum Problem. Viele Eltern schaffen es noch so eben. Doch viele tragen ihr letztes Geld in die kleinen Läden, die mit Spirituosen überfüllt sind.
    Wodka, Allheilmittel gegen Sorgen jeglicher Art, ist in Sibirien inzwischen sehr beliebt. Nicht nur Männer torkeln durch die Straßen. Auch immer mehr Frauen flüchten in den Alkohol und merken nicht mehr, wie sie sich ihren Kindern entfremden.
    Oftmals ist es dann nicht mehr weit, bis sie, Frauen wie Männer, gewalttätig werden gegen die nur noch lästig erscheinenden Kinder.
    Armut, Mangel an Geborgenheit und Missbrauch hinterlassen schwere Spuren auf den Gesichtern und in den Seelen der Jungen und Mädchen. Diese Zeit frisst ihre Kinder.
    Die kleinen Geschöpfe sehen häufig keinen anderen Ausweg mehr, als ihr Leben auf der Straße zu verbringen. So entgehen sie wenigstens den Attacken ihrer betrunkenen Eltern. Wie viele Kinder – aus diesem Grund oder weil sie von ihren Eltern verstoßen wurden – auf der Straße leben, interessiert keinen in dieser Stadt. Längst hat man aufgehört, sie zu zählen.
    Straßenkinder gehören zum Alltag in dieser Stadt der Verlorenen.

Die Clique von Nikolajew
    Ein altes, verlassenes Warenlager, gerade einmal zehn Quadratmeter groß, ist der Wohnort einer Gruppe junger Buben, keiner älter als dreizehn Jahre. Das Lager ist verfallen und hat längst keine Fensterscheiben mehr, die seine Bewohner vor den kalten Nächten schützen könnten. Der Regen prasselt durch die Dachpappen. Auf dem Fußboden liegen Gerümpel und einige zerrissene Matratzen. Es gibt kein Wasser, keine Toilette. Aber das stört sie nicht, sie sind froh, hier wenigstens schlafen zu können.
    Nikolajew, ein abgemagerter Junge von höchstens dreizehn Jahren, scheint ihr Anführer zu sein. Man braucht nicht lange zu warten, bis er zu erzählen beginnt: »Meine Mutter und mein Vater sind Alkoholiker. Ständig wurde ich geschlagen. Mein Vater hat längst keine Arbeit mehr, und meine Mutter putzt bei reichen Leuten, aber nur, um Schnaps kaufen zu können. Mein kleiner Bruder Danilo« – und dabei zeigt er auf einen etwa Neunjährigen, der in seiner Nähe steht – »ist krank, aber Geld für Medizin war nie da.«
    Diese Kinder haben längst vergessen, dass sie noch Kinder sind. Mit einem spitzbübischen Grinsen erzählen sie, wie sie nachts betrunkene Männer und Frauen ausrauben. Nikolajew rechtfertigt sich: »Von irgendetwas müssen wir ja leben. Wir tun den Leuten ja nicht weh, wir beklauen sie ja nur. Die versaufen ja doch nur ihr ganzes Geld.«
    Während Nikolajew erzählt, geht die Tür auf, und eine etwa fünfzigjährige Frau ruft seinen Namen. Es ist seine Mutter.
    Langsam geht er auf sie zu und stößt sie zurück auf die Straße.
    Sie fällt und schreit, aber das stört den Jungen nicht. Als sie sich aufrichten will, fällt sie wieder hin. Zweimal versucht sie noch aufzustehen, dann bleibt sie für eine Weile am Boden sitzen. Man bemerkt, wie betrunken sie ist.
    »Hau ab, du alte Schlampe! Ich habe dir schon hundert Mal gesagt du sollst dich hier nicht blicken lassen. Wir wollen dich nicht mehr sehen. Nie mehr, nie mehr! Hast du verstanden?«
    Nikolajew macht die Tür zu. Es kümmert ihn nicht ob sich die Frau, die seine Mutter ist, beim Fallen eventuell verletzt hat.
    »Sehen Sie, das war meine Mutter. Besoffen wie immer, wenn sie hierher kommt Sie will einfach nicht glauben, dass ich sie nicht mehr sehen will.«
    »Und dein Bruder?«
    »Der will sie auch nicht mehr sehen.«
    Doch sein Bruder, den er inzwischen an die Hand genommen hat
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