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Der Kannibalenclan

Der Kannibalenclan

Titel: Der Kannibalenclan
Autoren: Jaques Buval
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sieht traurig zur Tür – zumindest glaubt man, Trauer in seinem Blick zu erkennen. Wieder öffnet sich die Tür.
    Nikolajews Mutter hat Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
    Lallend redet sie auf ihren Sohn ein und merkt nicht wie verächtlich er sie anblickt. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, stößt er die Frau erneut auf die Straße zurück und schließt die Tür. Dann bleibt es ruhig, und Nikolajew ist zufrieden.

    »Sehen Sie, für meinen Bruder und mich hat sie nicht eine Scheibe Brot dabei. Aber saufen, das kann sie.«
    Damit ist für ihn das Thema erledigt. Öfter als sonst inhaliert er aus seiner Tüte den alles betäubenden Stoff ein.

    »Wo geht ihr denn hin, wenn es kalt wird?« – Auf diese Frage scheint er gewartet zu haben.
    »Kommen Sie mit ich zeige es Ihnen. Das Versteck verrate ich sonst niemandem.«
    Ein paar Häuserblocks weiter bleibt er vor einem Straßengully stehen. Ohne Probleme hebt er den schweren gusseisernen Deckel zur Seite, und mit einem Schwung ist er in der nach unten gehenden Röhre verschwunden.
    »Nun kommen Sie schon, oder haben Sie Angst?«, ruft er nach oben. Übelster Kloakengeruch dringt an die Oberfläche.
    Die Röhre führt in einen riesigen Betonbunker, durch den ein Abwasserkanal fließt. Stolz zeigt er auf eine größere zementierte Fläche und erzählt, wie warm es hier im Winter sei. Riesige Heizrohre befinden sich an der Decke und strahlen wohlige Wärme aus. Dass es hier hunderte von Ratten gibt, stört ihn offensichtlich nicht. Mit einem Fußtritt verscheucht er sie, und wie auf Kommando verkriechen sie sich in ihren Löchern. Dabei grinst er, als hätte er ein kapitales Großwild erlegt.
    In einer Ecke haben sie sich mit Lumpen ein Bettlager errichtet Eine alte Petroleumlampe ist die einzige Lichtquelle in dieser menschenunwürdigen Behausung. Schnell zündet er sie an. Voller Stolz erklärt er, dass er eine automatische Toilettenspülung sein Eigen nennt. Dabei deutet er auf den vorbeifließenden Abwasserkanal. Nach oben steigend ist man froh, wieder das Tageslicht zu sehen und frischen Sauerstoff atmen zu können.
    »Gibt es auch Mädchen in eurer Clique?«
    »Nein, o nein, was sollen wir denn mit Mädchen? Die wollen doch nur alte Männer, und denen nehmen sie dann das Geld ab.
    Selten haben wir mit ihnen Kontakt.«
    Nach einer Weile fragt er: »Wollen Sie sehen, wo die Mädchen wohnen? Kommen Sie, ich zeige es Ihnen. Aber dafür bekomme ich einen Dollar mehr, ja? Sie holen doch nicht die Polizei?«
    Er ist ängstlich, doch der Anblick des Dollars lässt ihn seine Angst vergessen. Gemeinsam geht das Grüppchen zum Taxi des neugierigen Besuchers.
    Nach knapp einer halben Stunde Autofahrt lässt er anhalten.
    »Da, da drüben in dem kleinen Haus, da wohnen sie.«
    Der Taxifahrer, der während der ganzen Fahrt kein einziges Wort sprach, nennt den Fahrpreis und bedenkt seinen erwachsenen Fahrgast mit einem verächtlichen Blick, der die Neugierde eines Berichterstatters beschämt. Nicht einmal ein Trinkgeld will er von diesem Menschen annehmen, und das will etwas heißen in diesem Land. Zu groß ist offensichtlich seine Verachtung gegen Menschen, die dieses Haus sehen oder besuchen wollen. Welche Gedanken mögen durch sein Gehirn gekreist sein?
    Als der Junge die Hand des Besuchers nimmt und schnurstracks auf das Haus zugeht, möchte er den Bewohnern offenbar zeigen, dass er mit einem Freund kommt. Der Anblick der beiden lässt den abfahrenden Taxifahrer nur noch den Kopf schütteln.

Das Haus der stummen Laute
    Nur einige Meter entfernt steht ein kleines, verlassen wirkendes Haus – eher eine Ruine. Aber es hat Fenster, eine stabile Eingangstür und ein Dach, das vor Regen schützt.
    Längst ist die Farbe abgebröckelt, aber das scheint hier niemanden zu stören.
    Fröhlich durch die Finger pfeifend, versucht sich Nikolajew den Bewohnern bemerkbar zu machen und guckt neugierig durch ein seit Monaten nicht mehr geputztes Fenster. Er klopft ein paar Mal ungeduldig an die Scheibe.
    Plötzlich erscheint ein etwa dreizehnjähriges Mädchen an der Eingangstür. Sie erschrickt, als sie den Jungen und den fremden Mann sieht. Ihre Haare sind ordentlich gekämmt, sogar die Kleidung macht einen sauberen Eindruck. Mit großen schwarzen Augen mustert sie ihren Besucher von oben bis unten.
    »Kommen Sie herein«, begrüßt sie den Fremden und winkt Nikolajew hinzu.
    »Haben Sie Geld?«, ist ihre erste Frage. Doch noch bevor der Besucher antworten kann, klärt der Junge
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