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Der Kannibalenclan

Der Kannibalenclan

Titel: Der Kannibalenclan
Autoren: Jaques Buval
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das Recht, in Ruhe ein Glas Wodka zu trinken.«

    Ludmilla Spesiwtsew – Komplizin eines Mörders Saschas Mutter, seine Komplizin, die nur ein paar Stahltüren von Saschas Zelle entfernt inhaftiert ist, hat in endlosen Verhören alles bestritten, was mit den Taten direkt zu tun hat.
    Im Beisein ihres Sohnes hat sie alle Schuld auf ihn geschoben, und erst als man ihr die Aussage der überlebenden Olga vorhielt, überlegte sie ein paar Tage und kam dann zu dem Schluss, durch ihre Mitarbeit bei den staatsanwaltlichen Ermittlungen der Todesstrafe zu entgehen. Unweit ihrer Wohnung zeigte sie den Beamten schließlich den Ort, wo sie die restlichen Leichenteile vergraben hat. Wie man auf den Videoaufnahmen der Staatsanwaltschaft sehen kann, hat sie den Spaten selbst in die Hand genommen und die menschlichen Überreste ausgegraben.
    Sie hat Angst vor der Todesstrafe, die ihr und ihrem Sohn eigentlich gewiss sein müssen. Ihre Tochter hätte nach russischem Gesetz wohl auch die Todesstrafe zu erwarten.
    Doch bei den Vernehmungen kam den beiden kein Wort über Nadeschda über die Lippen, und auch die Staatsanwaltschaft hat bis zu diesem Zeitpunkt keine einzige Frage gestellt zu der Rolle, die Nadeschda Spesiwtsew in dieser Tragödie gespielt hat.
    Ludmilla Spesiwtsew hat gestanden, die Kinder angelockt, ihre zerstückelten Leichen gekocht und die nicht verzehrten Teile beseitigt zu haben. Wie sie aussagte, hat sie die menschlichen Überreste entweder vergraben oder in den Fluss Aba geworfen. Höchstwahrscheinlich stimmt auch ihre Aussage vom Verbleib der Köpfe – bis heute konnte nur einer aufgefunden werden. Ihre ständige Aussage: »Ich habe alles nur aus Liebe zu meinem Sohn getan«, kann in diesem Land kaum einer begreifen. Niemand kann verstehen, was in dieser Mutter vorgegangen sein muss. Auch sie hat eine Tochter –
    und sie behauptet, ihre Tochter sei wohlerzogen.
    Sitzt man ihr gegenüber, dieser Frau, die einen eiskalten Gefühlsstrom verbreitet, bleibt unklar, wer sie wirklich ist. Ist sie die Urheberin all des Leides oder nur Mitwisserin? Hat sie wirklich alles nur erduldet, aus Liebe zum eigenen Sohn?
    Ludmilla Spesiwtsew, Ende fünfzig, hatte es nicht immer leicht in ihrem Leben. Sie hat früh geheiratet und zwei Kinder bekommen. Nikolai, Saschas Vater, hat sie und die Kinder fast täglich verprügelt und die Tochter Nadeschda sexuell missbraucht. Als Sascha fünf Jahre alt war, verließ der Vater die Familie. Unterhalt hat er nie gezahlt. Er zog in ein kleines Dorf in Sibirien, und heute, wenn man ihn fragt, ob er verstehen könne, was seine geschiedene Frau, seine Tochter und sein Sohn getan haben, antwortet er nur kurz: »Lassen Sie mich in Ruhe. Das ist alles schon zu lange her. Ich habe in den zweiundzwanzig Jahren alles vergessen, was war. Lassen Sie mich bloß in Ruhe, sonst werde ich ungehalten.«
    Für eine allein stehende Mutter ist es sicher nicht leicht, in diesem weltabgewandten Teil der Erde zwei Kinder großzuziehen. Aber warum ließ sie es zu, dass Sascha mit zunehmendem Alter immer brutaler wurde? Bald war es an der Tagesordnung, dass er die Frauen schlug, bei jeder kleinsten Gelegenheit, beim winzigsten Anlass. Für die Mutter gab es immer nur eine einzige Erklärung: »Ganz der Vater.«
    Sascha selbst sollte es an nichts fehlen; dafür sorgte seine Mutter. Doch der hübsche Junge mit seinen großen schwarzen Kinderaugen wollte immer nur alleine sein. Nie versuchte er, mit anderen Kindern zu spielen, erinnern sich Nachbarn noch heute. Auch in der Schule war Sascha ein Einzelgänger.
    Sein Werklehrer erinnert sich noch heute genau. Geradezu stolz zeigt er das Schulzimmer. »Das ist der Werkraum, in dem ich Sascha als zwölfjährigen Schüler unterrichtet habe«, so Walerij Sewastianow. »Er war ein guter Schüler. Vor allem sein Geschicklichkeit im Feilen und Sägen ist hervorzuheben.«
    Sein Gesicht wird nachdenklich, als er fortfährt: »Er hatte etwas Besonderes an sich; er schien irgendwie hinterhältig zu sein, verschlossen und in sich gekehrt. Und das in so jungen Jahren. Er war schon zu dieser Zeit… irgendein Problem hatte er.«
    Fünfzehn Jahre später ist der begabte Junge der bestbewachte Gefangene im Straflager seiner Heimatstadt.

    Was übrig blieb

    In einem einfachen, rot gestrichenen Haus in Nowokusnezk hat die Familie Baraschkina eine kleine, schlicht ausgestattete Wohnung. Im Wohnzimmer hängt ein Teppich an der Wand, direkt darunter steht ein kleiner Tisch. Darauf eine
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