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Der Kannibalenclan

Der Kannibalenclan

Titel: Der Kannibalenclan
Autoren: Jaques Buval
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einer außergewöhnlichen Demut und Zurückhaltung gewichen. Ihre Taschen, die früher prall mit Schmiergeldern gefüllt waren, sind heute genauso leer wie der Staatssäckel. Die Unterwelt Sibiriens hat es nicht mehr nötig, Beamte und Funktionäre, die Parasiten der vergangenen Zeit, mit Geschenken zu überhäufen. Die Unterwelt selbst ist heute mächtiger denn je. Zu groß ist ihre Macht von Moskau aus, und zu gefürchtet ihre Handlanger.

    Eine Drohung dieser Leute an die Familie eines Funktionärs ist heute eine schnellere und billigere Erfolgsgarantie, wenn es gilt, eine außergewöhnliche Genehmigung zu erlangen.
    Längst haben die ehemals Begünstigten es gelernt, sich den wirklichen Machthabern dieses Landes zu unterwerfen, die Augen vor Korruption zu verschließen, um wenigstens einen Krümel vom großen Kuchen zu erhalten, den sie früher selbst genüsslich verschlungen haben. Ihre Frauen sind nicht mehr so herausgeputzt und benutzen auch keine französischen Parfüms mehr. Der Haushaltskittel, so wie ihn die Nachbarin trägt, ist die Haute Couture dieser wohlhabenden Frauen aus vergangenen Tagen geworden. Die Zeit ist vorbei, in der man sich noch über den schiefen Rücken einer Bäuerin lustig machen konnte. Heute ist man froh, von diesen früher »ach so armen Frauen« wenigstens ein paar Kartoffeln zu bekommen.
    Niemand wagt es, sich den neuen Herren des Landes in den Weg zu stellen. Jedes Jahr verschwinden hunderte von Menschen spurlos, und niemand versucht, die verschollenen Seelen zu finden.
    Es gilt einzig und allein, zu überleben, Brot für das Morgen zu haben und Brennstoff für die langen, harten Wintermonate zu organisieren. Wehe dem, der im Winter nicht genügend Heizmaterial in seinem Keller hat. Aber es gilt nicht nur, die horrende Kälte, oft bis zu fünfzig Grad unter Null, zu überstehen. Es gilt vielmehr, gegen alle Unzulänglichkeiten, die diese schweren Wintereinbrüche mit sich bringen, gewappnet zu sein. Die Wasserversorgung ist häufig unterbrochen. Oft sind die Rohre eingefroren, und es vergehen Tage, bis die Leitungen wieder frei sind und der Schaden behoben ist. Fast täglich fällt in einem der Stadtbezirke von Nowokusnezk für viele Stunden der Strom aus. Am stärksten aber wirken sich die Hemmnisse auf die Landbevölkerung aus.
    Wer nicht genügend Lebensmittelvorräte gesammelt hat, wird die Wintermonate nicht überleben. Die alten Holzhäuser sind oft über Monate hinweg von der Außenwelt abgeschnitten.
    Der Schwarzmarkt blüht, so wie in anderen Ländern nach einem verlorenen Krieg. Man stiehlt aus den regierungseigenen Betrieben, was nicht niet- und nagelfest ist. Wen wundert es, wenn aus einem maroden Stahlwerk nachts Rohre entwendet werden und tags darauf keine Produktion mehr möglich ist?
    Neue Rohre gibt es nicht, also müssen die gestohlenen zurückgekauft werden. Nur haben diese in der Zwischenzeit längst den Besitzer gewechselt, und ihr Preis hat sich in dieser einen Nacht gegenüber neuem Material um das Zehnfache erhöht.

    Ein Beamter erzählt

    Ein kleiner Beamter der Stadt beschreibt die neuen Herrscher dieses Landes vielleicht richtig: »Wissen Sie, über die angeblich so große Macht der italienischen Mafia können wir hier nur lachen. Glauben Sie mir eines, im Vergleich mit der hier etablierten Unterwelt ähnelt die italienische Mafia eher einem katholischen Knabenchor. Alles, was sich in den Weg stellt, wird aus dem Weg geräumt. Ungezählt sind die unschuldigen Kreaturen, deren Leiber verscharrt im Boden dieses Landes ruhen.«
    Traurigen Blickes stapft er mit seinen abgewetzten Pantoffeln über die Straße. Der eisige sibirische Wind bläst ihm ins Gesicht. Leise summt er eine alte russische Volksweise vor sich hin, eine Melodie voll endloser Wehmut. Reformen wurden ihnen versprochen, doch geändert hat sich nichts. Die Kommunisten, denen viele heute nachtrauern, hat man verjagt.
    »Wir haben unschätzbare Werte in diesem Boden«, fährt der Mann fort und deutet mit geballter Faust auf den Boden seiner Heimaterde. »Doch niemand will sie mehr zu Tage fördern.
    Fahren Sie nach Surgut, Canty-Mansisk oder nach Schaim, und sehen Sie sich die Erdölförderungsanlagen einmal an. Alles veraltet, verrostet und defekt. Das in die Rohre gepumpte Öl versickert zu siebzig Prozent wieder in der Erde, weil die Leitungen leck und undicht sind. Sehen Sie sich die riesigen Seen von gefördertem Erdöl an. Ganze Landstriche wurden zu unbrauchbarem Boden, der niemals
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