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Der Kannibalenclan

Der Kannibalenclan

Titel: Der Kannibalenclan
Autoren: Jaques Buval
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    Längst gibt es hier keinen Tag mehr, tags ist es fast genauso dunkel wie nachts. Viele Quadratkilometer weit ziehen riesige schwarze Rauchschwaden über den Himmel, unter dem längst keine Menschen mehr leben können.
    Die Transsibirische Eisenbahn, einst gebaut, um die gewonnenen Güter in das Land zu bringen, was ist aus ihr geworden? Eine Touristenattraktion. Wir könnten eines der reichsten Länder der Erde sein, wenn diese Bodenschätze nur genutzt würden. Betrachten Sie die riesigen Erdgastürme. Doch das Gas strömt nicht durch die Leitungen in das Land – das meiste verpufft in den Himmel. Dutzende von Goldbergwerken, die enorme Gewinne und Devisen in dieses Land brachten, wurden geschlossen. Heute glaubt man sich in eine amerikanische Goldgräberstadt von vor hundert Jahren versetzt, sieht man die vielen Menschen, die wegen der kaputten Maschinen noch wie in der Steinzeit nach dem Gold schürfen, um dann doch letztendlich von cleveren Käufern um den Lohn ihrer Arbeit gebracht zu werden.
    Das westsibirische Tiefland ist voller Bodenschätze, doch das kümmert die Herren von Moskau nicht. Allein hier in der Umgebung von Nowokusnezk, im Kusbass-Kohlenrevier, gibt es circa zwanzig Bergwerke. Mit dem Bergbau wurde im Jahre 1851 begonnen, doch erst der Bau der Transsibirischen Eisenbahn am Ende des 19. Jahrhunderts brachte den Aufschwung, der inzwischen wieder zum Erliegen kam. In Taschtagol befindet sich das größte Eisenvorkommen dieses Landes. Die ganze Welt könnte damit beliefert werden. Doch die Arbeiter bekommen keinen Lohn. Wer will ihnen verdenken, dass sie lieber zu Hause bleiben? Immer mehr Stollen stürzen ein, und immer mehr Menschen flüchten in die Großstädte. Das ist unser Sibirien oder das, was aus ihm geworden ist.«

    Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich viel verändert in den vormals bevorzugten Industrie- und Bergbaugebieten, die Siedler und Landwirte angelockt haben.
    Damals, in den siebziger Jahren, waren auch die Bedingungen für die Landwirtschaft vielversprechend. Es gab noch fruchtbare und kräftige Wiesen. Das am dünnsten besiedelte Gebiet der Sowjetunion orientierte sich an den Eisenbahnlinien und den industrialisierten Marktstädten und Häfen. Der Transsibirischen Eisenbahn kam besondere Bedeutung zu.
    Längs dieser Bahnlinie liegen noch heute kleine Holz verarbeitende Betriebe. Holz, das Gold dieses Landes, zumindest für den Durchschnittsbürger. Die steil zum Himmel ragenden mächtigen Tannen sind das einzige Kapital dieser armen Dorfbewohner. Sie bringen Arbeit und Lohn, der aber schon seit Jahren nicht mehr bezahlt wird. So arbeiten sie Tag für Tag und haben doch keine Kopeke in der Tasche. Selbst der Bollerofen in ihrem kleinen Holzhaus gibt längst keine Wärme mehr ab. Das geschlagene Holz liegt zuhauf in den Wäldern, doch wer getraut sich schon, auch nur einen Stamm zu nehmen, wenn jeder gestohlene Stamm zwei Jahre Arbeitslager kostet?
    Man schlägt und bearbeitet die Stämme, die dann an ihren Sammelstellen wieder verrotten. Holz ist zum nutzlosesten Kapital dieses Landes verkommen.

    Sibirien – Land der Verdammten

    Unvorstellbar, wie riesengroß dieses unwirtliche Land ist. Mit seinen dreizehn Millionen Quadratkilometern umfasst Sibirien etwa vierzig Prozent der gesamten Fläche der ehemaligen Sowjetunion. In der Frühzeit des Landes waren die unwirtlichsten Gegenden Sibiriens mit ihren ausgedehnten Wäldern und Sümpfen den nomadischen Ureinwohnern vorbehalten. Seit vielen Jahrzehnten gibt es hier, besonders in den abgelegensten Gegenden im Norden des Landes, einen neuen Grundstock der Bevölkerung: die Gefangenen, die aus dem gesamten Kontinent hierher deportiert wurden. Bereits im 19. Jahrhundert begann man systematisch, Verbrecher, politisch Missliebige und religiöse Dissidenten nach Sibirien zu verbannen. Im 19. Jahrhundert kamen über eine Million Verbannte nach Sibirien. Unter Stalin wurde dann ein weitflächiges Netz von hunderten von Straf- und Arbeitslagern errichtet. Angeklagt und verbannt wurden nicht nur politische Gegner, sondern auch ganz einfache Bürger des Landes, Kulaken (wohlhabende Bauern), Dichter und Denker – alle, die man für »aufrührerisch« oder »regimekritisch« hielt. Im Jahr 1934 lebten rund fünf Millionen Menschen in den Lagern Sibiriens. Im Jahr des großen Terrors, 1937/38, kamen über sieben Millionen Verbannte hinzu. In diesem Jahr wurden oft mehrere tausend Sowjetbürger
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