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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cornelia Read
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Fifty-seventh Street inzwischen wahrscheinlich dreißig Grad herrschten, waren Pagans tief gebräunte Beine, nahtlos von den Flipflops zum fehlenden Saum ihrer ausgefransten Shorts.
    Ein Arbeitgeber, der auf Nylonstrümpfe et cetera Wert legte, musste einiges mehr hinblättern als sechs Dollar die Stunde.
    Pagan schob die Kassetten zurück in das Gerät und versuchte, die Klappe zuzudrücken, aber der Schnapper war kaputt, sodass sie zweimal mit der Faust dagegenschlagen musste, bis die Klappe geschlossen blieb.
    » Espèce de merde« , murmelte sie.
    Ich lehnte mich an den Empfangstresen. »Sag Tracy, sie soll den Granta- Zicken sagen, dass wir ihren benutzen dürfen.«
    »Tracy ist mit Betty in Geoffreys Büro, sie gehen die Änderungen für das Herbst-Bulletin durch.«
    »Oh Freude, oh Wonne.«
    Betty war die Exfrau von Julian, dem Herausgeber, und sie behielt sich weiterhin Post-Scheidungs-Einfluss vor, damit sie, wann immer ihr danach war, von der Review rüberkommen und uns zur Sau machen konnte. An schlechten Tagen war ihr stündlich danach.
    Eine Tür schlug gegen die dünne Wand am Ende des kurzen Flurs, wo die Review -Redaktion saß.
    Bettys gewohnt schrille Rachegöttinnennummer war nicht zu überhören: »angeborene Blödheit «, »komm mir nicht mit der Scheiße «, bla bla, Psycho-Dreckstück, bla bla.
    Meine Schwester und ich zuckten zusammen, als es plötzlich laut knallte und klirrte: Porzellan gegen Wand.
    »Blöde Ziege«, sagte Pagan. »Ich musste ihr den Kaffee bringen. In meinem Becher von zu Hause.«
    »Wenigstens kann die Ziege noch werfen wie ein Champion. Wenn man bedenkt, dass sie nur einen Arm hat.«
    »Sei nicht fies«, sagte Pagan.
    »Im Vergleich zu Betty?«
    Sie stemmte die Hände in die Hüften und kniff die Augen zusammen. »Willst du werden wie sie, wenn du groß bist?«
    Niemand bringt mich so zur Vernunft wie Pagan. Vor allem, wenn sie recht hat. »Nein«, sagte ich. »Natürlich nicht.«
    »Dann geh und sag den Granta -Zicken, dass ich kopieren muss. Ich will Bettys Anfall nicht künstlich verlängern.«
    Ich sah auf die Uhr. »Tut mir leid. Ich komme zu spät zum Friedhof.«
    »Feigling.«
    »Was ist, wenn ich die Granta- Zicken bei irgendeinem satanischen Ritual unterbreche? Wenn sie gerade ein paar Kleinkinder opfern?«, fragte ich. »Die springen mir an die Gurgel wie eine Meute Dobermänner.«
    Sie verdrehte die Augen. »Ich fasse es nicht, dass wir verwandt sind.«
    »Dumm gelaufen. Ich muss los.«

5
    Jamaica, Queens, war für mich nie ein richtiger Ort gewesen.
    Jamaica war immer mehr Transitpunkt als geografische Realität, eine Haltestelle auf dem Weg vom Flughafen oder nach Long Island. Drei Stationen nach Penn Station landete man für einen kurzen Moment in diesen himmlischen Betongefilden, die wie eine Arbeit von Jackson Pollock mit Kool-Kippen, Getränkedosenringen und den mattschwarzen Ovalen alter Kaugummis gepflastert waren – ein Stück Nirgendwo, das hastig überquert werden musste, wenn man aus dem schmalen City-Zug in die breitschultrigen Waggons der Oyster Bay Line umstieg.
    Eigentlich hatte ich nichts gegen Queens, aber wenn man in einem Milieu aufwuchs wie ich, wurde man, wenn überhaupt, vielleicht einmal im Jahr daran erinnert, dass sich jenseits der Gleise noch ein Stadtteil befand.
    Das konnte auf dem Weg zum Flughafen passieren oder beim Ausgehen, wenn jemand verächtlich vom »Brücken-und-Tunnel-Mob« sprach, der sich noch hoffnungsvoll hinter den Samtseilen drängte, während der Türsteher uns ins neueste Fleischmarkt-Nirwana schleuste. (Ich muss an dieser Stelle sagen, dass ich mich dieser Art von Bevorzugung immer geschämt habe – ob man mich mit fünfzehn ins Studio oder Regine’s ließ oder mit zwanzig ins Area oder Pyramid –, denn ich konnte weder tanzen, noch konnte ich mir je mehr leisten als ein gezapftes Hausmarkenbier, obwohl ich auf der Gästeliste stand und keinen Eintritt zahlen musste.)
    Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich mich an diesem Septembernachmittag zum ersten Mal in meinem Leben die gusseiserne Treppe vom Bahnsteiglevel zur Straße hinunterwagte.
    An jeder dritten Kreuzung meine grob skizzierte Wegbeschreibung konsultierend, drängte ich mich durch unbekannte überfüllte Straßen, wo sich Bodegas, Ghettoblaster-Läden, Zeitungskioske und Obstverkäufer aneinanderreihten, und kam mir vor wie so ziemlich die einzige weiße Frau meilenweit.
    Es war heiß geworden. Die Luft stank nach Diesel und Curry,
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