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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cornelia Read
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1
    Das liebe ich an New York City: Wenn sich jemand scheiße benimmt, und ich der Person sage, dass sie sich scheiße benimmt, sind alle, die es mitkriegen, auf meiner Seite.
    Überall sonst, wo ich gelebt habe, hätten die Leute mich scheiße gefunden.
    Außerdem gibt es in Manhattan ausgezeichnete chinesische Restaurants, und sie liefern nach Hause, was für mich zu den größten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte gehört, bisher. Vor allem, wenn es kalte Sesamnudeln gratis dazu gibt.
    Ganz ehrlich, wenn man zum Telefon greift, und das Einzige, das man weit und breit bestellen kann, ist die miese weiche lauwarme Pizza einer amerikanischen Kette, dann lebt man einfach nicht in der Zivilisation.
    Ich hatte gerade vier Jahre in so einer Gegend hinter mir, die euphemistisch das »Herz Amerikas« genannt wird, und ich war überglücklich, meinen Hauptwohnsitz endlich wieder in die Stadt meiner Geburt verlegt zu haben.
    Es war früher Herbst, und das Wetter an diesem Tag war ein Traum, als ich mit meiner Mutter die Sixth Avenue hinunterschlenderte. Wir wollten eine Torte für die Party abholen, und ich war blendend gelaunt.
    Nur Mom sah aus, als würde sie lieber Unkraut jäten oder Steine schleppen oder einem anderen dieser anstrengenden Hobbys frönen, die man sich auf dem Land einfallen lässt.
    »Das muss es sein«, sagte sie und zeigte auf eine leicht angeschmuddelte Bäckerei auf der anderen Straßenseite, kurz vor Waverly Place in Greenwich Village.
    Wir rannten bei Rot über die Sixth Avenue, Mom voraus. Eine Gewohnheit, die man nur schwer loswurde, auch wenn sie seit 1965 nicht mehr in Manhattan lebte.
    Vor der Bäckerei stand eine dünne, ausgemergelte gefärbte Blondine herum. Ihr Make-up-Typ war Kabuki/Stewardess, und sie balancierte auf ungesund schicken Bergdorf-Goodman-Schlampen-Stilettos.
    Mal wieder fragte ich mich, warum sich manche Frauen so gerne in »Fick mich«-Schuhe zwängten. Mir waren »Leck mich«-Schuhe lieber.
    Die falsche Blondine zog die Tür auf und blieb wie angewurzelt stehen, als wäre ihr von dem Gedanken an feste Nahrung, die über Diuretika und Stangensellerie hinausging, plötzlich schlecht geworden.
    Mom strich sich durchs kurze dunkle Haar und schob sich zielstrebig an ihr vorbei.
    Empört giftete die Frau: »Hey, für wen halten Sie mich? Bin ich hier der Portier?«
    Schon gut, Lady, krieg dich wieder ein.
    Weil sie immer noch im Weg stand, murmelte ich: »Haben Sie was gegen Portiers?«, und folgte meiner Mutter.
    Nach dem gleißenden Licht draußen war es in der Bäckerei dunkel. Ich inhalierte den Duft von Butter und Vanille, der den kleinen Laden erfüllte, während sich meine Augen ans Dämmerlicht gewöhnten.
    Mom fragte an der Theke nach unserer Torte. Auf dem gefliesten Schachbrettboden stand ein Dutzend kleiner Tische mit einer bunten Mischung von Konfiserie-Liebhabern, die sich an Torten, Eisbomben und Eclairs labten.
    Als die Inhaberin die rosa Schachtel auf den Tresen stellte, bohrte sich plötzlich eine Flintstone-artige Flugsaurierklaue in meine Schulter.
    Die inzwischen noch wütendere Tür-Blondine riss mich herum und schrie mich an: »Miststück!«, so nah an meinemGesicht, dass mir eine Gischt von Spucketröpfchen entgegenflog.
    Ich wich einen Schritt zurück. »Wie bitte?«
    Doch sie krallte sich noch fester in meine Schulter und begann mit dem knochigen Zeigefinger auf mein Brustbein einzuhacken. »Für. Wen. Zum Teufel.« Hack. Hack. Hack. »Hältst du dich?«
    Beim letzten Stochern brach der manikürte Fingernagel ab, mitten auf dem Logo meines besten schwarzen »LEFTY’S TATTOO AND PIERCING, CHULA VISTA«- T-Shirts vom Secondhandladen.
    »Ich halte mich für Madeline Ludlam Fabyan Dare«, antwortete ich und hob das Kinn, um sie von oben herab zu mustern. »Warum?«
    »Verdammtes Miststück!«, spie mir meine abgezehrte Angreiferin entgegen.
    Inzwischen sah die gesamte Kundschaft her, die mit Kuchen beladenen Gabeln auf halbem Weg zum Mund erstarrt.
    Als sie merkte, dass wir Publikum hatten, ließ die kreischende Blondine von mir ab, doch sie stand mit geballten Fäusten da wie eine bebende Stimmgabel.
    »Ach, kommen Sie«, sagte ich, »es ist wohl nicht das Ende der Welt, wenn man mal jemandem die Scheißtür aufhält.«
    Schon war der ausgestreckte Finger wieder oben. »Pass. Bloß. Auf!« Hack. Hack. Hack. »Was du sagst!« HackhackHACK.
    Sie drängte mich rückwärts gegen die Kuchenvitrine, in der sich ein beleuchtetes Panorama von
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