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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cornelia Read
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ich erreichten den ersten Stock, und ich schloss die Wohnungstür auf, dann folgte ich ihr durch unsere schmale Diele.
    »Ich stelle die Torte in den Eisschrank.« Sie zwängte sich an einem halben Dutzend Tabletts vorbei, auf denen eine Armada kleiner Pappbecher von Sues Zahnarzt auf den Wodka-Wackelpudding für die Party warteten.
    Ich dankte Mom für die Tortenspende, mit der wir nicht gerechnet hatten, und ging ins Wohnzimmer.
    Dort waren Pagan und Sue beim zweiten Anstrich der Farbe, die wir am Morgen bei Janovic Paints Ecke Twentythird Street ausgesucht hatten. Sue stand schwankend auf der obersten Leitersprosse, während Pagan auf den dünnen Armlehnen der alten Tweedcouch balancierte, eines dänischen Siebzigerjahremonstrums, das uns die Vormieter schadenfroh hinterlassen hatten.
    Ein Fremder hätte mich und Sue für die Schwestern gehalten. Wir gingen zwar nicht als verschollene Zwillinge durch, aber immerhin hatten wir beide dunkelblondes Haar, grüne Augen und eine Hakennase.
    Pagan dagegen hatte die dunklen Locken meiner Mutter und sah aus, als wäre sie aus einem Gauguin gesprungen, hätte der Mann denn je die Kapitänin der All-Tahiti-Damenfußballmannschaft gemalt, wie sie ihr Surfbrett über den Strand trägt.
    »Wie konnten wir nur diese bescheuerte Farbe nehmen«, seufzte Pagan und strich sich eine Locke aus der Stirn. »›Wüstenblume‹ – dass ich nicht lache.«
    Ich ließ die schweinchenpink-orangen Wände auf mich wirken. »Sieht eher nach Kinderhustensaft aus.«
    »Bei Janovic hat das Zeug total apricot ausgesehen«, sagte Sue.
    Mom kam rein und musste blinzeln. »Habt ihr euch die Farbkarte bei Tageslicht angesehen? Wahrscheinlich haben sie dort Neonbeleuchtung.«
    »Vielleicht bleicht es aus?«, fragte ich.
    Mom schüttelte den Kopf. »Erinnert mich daran, wie ich mal versucht habe, den Kartoffelbrei für Thanksgiving blau zu färben. Große Katastrophe.«
    »Das war widerlich«, sagte ich. »Sah aus wie Nilpferdleberwurst.«
    »Oder Nilpferdkackwurst«, sagte Pagan.
    Als Sue von der Leiter stieg, um die Farbrolle in die Wanne zu tauchen, ging draußen ein Autoalarm los, schepperndes Flamenco- und Bronx-Gedudel aus der Dose. Vor Schreck ließ sie die Rolle fallen und saute sich die Jeans ein.
    »Scheiß Yuppies!«, rief sie. »Am liebsten würde ich alle Windschutzscheiben gleich einschlagen, damit wir es hinter uns haben!«
    Dann legte sich der Lärm, und meine Mutter sah sich kopfschüttelnd um. »Macht bloß kein Licht an heute Abend.«
    »Wir müssen den Wodka-Anteil im Wackelpudding verdoppeln«, sagte Pagan. »Das ist, als hätte man einen Kater, bevor man was getrunken hat.«
    Dean klingelte an der Haustür, weil er Hilfe brauchte, das Bierfass und die Kiste Smirnoff ins Haus zu schleppen. Sue drückte den Türöffner und hielt dieWohnungstür für ihn auf.
    Eine Minute später hörten wir den Fahrstuhl, dann rollteDean rückwärts den Handkarren durch die schmale Diele und zog reflexartig den goldenen Schopf ein, als er durch den Durchgang ins Wohnzimmer kam.
    Mit einem Meter fünfundneunzig war mein strammer Farmerssohn zu groß für das Großstadtleben. Wir hatten Glück, dass wir überhaupt so viel Platz hatten – in einer Einzimmerwohnung hätte ich mich gefühlt wie mit Godzilla in einem Goldfischglas.
    Ich legte ihm die Hand auf die Hüfte, als er vorbeikam, und er drehte sich um und grinste mich an.
    »Hey, Bunny!«
    »Hey, du.«
    Dann sah er die neue Wohnzimmerfarbe und zuckte zusammen. »Sag nichts – im Farbenladen haben sie Meskalin ausgeschenkt?«
    Ich half ihm, das Bierfass in eine einigermaßen trockene Ecke zu hieven. »Wir wollten Geld sparen und haben gedacht, wir werfen ein paar Frösche in den Mixer.«
    »Hahaha.« Pagan kletterte von der Couch.
    Dean hielt sich die Augen zu. »Ich fühle mich wie im Innern einer Packung Sorbet.«
    »Mist«, rief Sue, »wir haben das Eis vergessen.«
    »Ich breche auf«, sagte Mom. »Es ist eine lange Fahrt zurück nach Maine.«
    »Können wir dich wirklich nicht überreden mitzufeiern?«, fragte ich.
    »Ich bin morgen zu einer Regatta eingeladen«, erklärte sie, »auf einer Hinckley.«
    Nur wer lebensmüde war, stellte sich zwischen meine Mutter und ein Segelboot. Sie war so was wie der Mario Andretti des Segelns – direkt nach der Hochzeit mit meinem Vater hatte sie die Landesmeisterschaften der Frauen gewonnen.
    In den Flitterwochen saß mein Dad am Strand in Coronado, während Mom in der Sports Illustrated landete.
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