Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Philosophen der Rundwelt

Die Philosophen der Rundwelt

Titel: Die Philosophen der Rundwelt
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
EINS
    Flaschenpost
    In der luftigen, engen Stille des Waldes jagte Magie auf leisen Sohlen Magie.
    Man könnte einen Zauberer durchaus als ein großes, oben spitz zulaufendes Ego definieren. Deshalb fällt es einem jeden von ihnen so schwer, unauffällig zu sein. Es würde bedeuten, genauso auszusehen wie andere Leute, und Zauberer möchten nicht wie andere Leute aussehen. Zauberer sind keine anderen Leute.
    In diesem dichten Wald voller gesprenkelter Schatten, wucherndem Grün und Vogelgezwitscher versuchten die Zauberer, unauffällig zu sein, allerdings auf eine auffällige Weise. Sie hatten die Theorie der Tarnung verstanden – oder zumindest genickt, als sie ihnen erklärt worden war –, aber dann gingen sie es falsch an.
    Man nehme nur diesen Baum. Er war klein und hatte große, knorrige Wurzeln. Es gab augenfällige Löcher in ihm. Moos hing an seinen Zweigen. Einer dieser haarigen, graugrünen Fladen wies erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Bart auf. Das war seltsam, denn ein Klumpen im Holz wirkte fast wie eine Nase. Hinzu kamen zwei Flecken, die wie Augen aussahen …
    Aber im Großen und Ganzen handelte es sich eindeutig um einen Baum. Er sah noch mehr nach einem Baum aus als ein gewöhnlicher Baum. Praktisch kein anderer Baum in diesem Wald sah so baumartig aus wie dieser. Er war in eine Aura äußerster Borkigkeit gehüllt und strahlte Blättrigkeit aus. Tauben und Eichhörnchen standen Schlange, um sich auf den Zweigen niederzulassen. Ganz oben saß eine Eule. Andere Bäume waren nur Stöcke mit Grünzeug dran, verglichen mit dem saftigen Grün dieses Baums …
    … der einen Zweig hob und auf einen anderen Baum schoss. Eine rotierende orangefarbene Kugel raste durch die Luft und traf – platsch! – eine kleine Eiche.
    Etwas geschah mit der Eiche. Teile von Zweigen, Schatten und Rinde, die bisher das Bild eines knorrigen alten Baums geformt hatten, wurden zum Gesicht von Mustrum Ridcully, Erzkanzler der Unsichtbaren Universität (für außerordentlich magische Leute). Orangerote Farbe tropfte ihm von den Wangen.
    »Hab dich erwischt!«, rief der Dekan, was die Eule von seinem Hut verscheuchte. Die Eule konnte von Glück sagen, denn eine Sekunde später riss ein fliegender Ball aus blauer Farbe den Hut fort.
    »Ha! Nimm das, Dekan!«, rief eine uralte Buche hinter ihm. Sie verwandelte sich nicht, aber es gelang ihr dennoch, zum Dozenten für neue Runen zu werden.
    Der Dekan drehte sich um, und ein orangefarbener Klecks traf ihn an der Brust.
    »Friss erlaubte Farbe!«, rief ein aufgeregter Zauberer.
    Der Dekan starrte über die Lichtung zu einem Holzapfelbaum, der jetzt der Professor für unbestimmte Studien war.
    »Was? Ich bin auf deiner Seite, du Narr!«, erwiderte er.
    »Unmöglich! Du hast ein zu gutes Ziel abgegeben!«* [* In dieser kurzen Bemerkung kommt die Essenz der Zauberei zum Ausdruck.]
    Der Dekan hob seinen Stab. Fünf oder sechs orangefarbene und blaue Kugeln trafen ihn, als andere verborgene Zauberer das Feuer eröffneten.
    Erzkanzler Ridcully wischte sich die Farbe aus den Augen.
    »Na schön, Jungs«, seufzte er. »Für heute reicht’s. Zeit für den Tee, nicht wahr?«
    Wie schwer es doch war, den Zauberern das Konzept des »Teamgeists« verständlich zu machen. Dafür war im zauberischen Denken einfach kein Platz. Ein Zauberer konnte sich durchaus vorstellen, gegen eine andere Gruppe anzutreten, aber er sah sich unüberwindlichen mentalen Hindernissen gegenüber, wenn es um die Idee ging, dass eine Gruppe von Zauberern mit anderen Zauberern wetteiferte. Ein Zauberer gegen andere Zauberer, ja, das verstanden sie sofort. Sie hatten als zwei Gruppen begonnen, aber wenn es zu einem Gefecht kam, gerieten sie so sehr in Aufregung, dass sie auf alle anderen Zauberer schossen, ohne irgendwelche Unterschiede zu machen. Ein Zauberer wusste tief in seinem Innern, dass alle anderen Zauberer Feinde waren. Ridcully hatte die Magie ihrer Stäbe auf Farbzauber beschränkt – andernfalls hätte der Wald inzwischen in Flammen gestanden.
    Wie dem auch sei: Die frische Luft tat ihnen gut. Ridcully hatte immer die Meinung vertreten, dass es in der Universität viel zu stickig war. Hier draußen schien die Sonne, Vögel zwitscherten, es wehte ein angenehm warmer Wind …
    Ein kalter Wind. Die Temperatur fiel.
    Ridcully blickte auf seinen Stab. Eiskristalle bildeten sich daran.
    »Ist ganz plötzlich ein wenig frisch geworden, nicht wahr?«, meinte er, und sein Atem kondensierte in der eisigen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher