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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cornelia Read
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sahen aus wie Flussperlen, winzig und perfekt.
    Ein Kind.
    Im Dämmerlicht unter den verschlungenen Ranken tauchte der kleine Vogelkäfig der Rippen auf, in Höhe des Solarplexus eingeschlagen.
    Ich rutschte zurück ans heiße Tageslicht, rief nach Cate.
    Cate schickte zwei der Jugendlichen los, um die Polizei zu rufen.
    Wir stellten uns etwas abseits der Gruppe, damit wir reden konnten, ohne Panik zu verbreiten.
    »Du zitterst ja«, sagte sie.
    »Ich hätte nicht so tief reingehen sollen. Was ist, wenn ich Spuren verwischt habe? Ich habe nicht klar gedacht.«
    Cates Stimme war sanft. »Wer hätte so was ahnen können?«
    »Na ja, wir sind hier auf einem Friedhof, oder? Wenn man etwas findet, das aussieht wie ein Knochen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es auch ein Knochen ist.«
    »Und du meinst wirklich, es war ein Kind?«
    Ich nickte und dachte im gleichen Moment, wie wenig am Skelett eines Menschen zu erkennen war, wenn man nicht über die traurigen Kenntnisse eines Gerichtsmediziners verfügte: weder Name noch Herkunft, nicht mal das Geschlecht.
    Es hatte sich in Luft aufgelöst, das kleine Wesen, dessen Fleisch diese Knochen einst bekleidet hatte.
    Das Kind hätte mir auf Zehenspitzen kaum bis zur Hüfte gereicht. Zwei Jahre, höchstens drei oder vier – auf jeden Fall zu klein, um allein draußen zu sein, geschweige denn um ohne Hilfe über den spitzen Eisenzaun zu klettern.
    Und welches Kleinkind käme auf die Idee, an einem Ort wie diesem ins Dickicht zu kriechen, selbst wenn es älteren Geschwistern hinterherlief?
    Stadtkinder wussten, dass sich auf verwilderten Grundstücken jede Menge kleine und große Monster versteckten: böse Hunde, riesige Ratten mit gelben Fangzähnen.
    Und an einem Ort, der so groß war wie dieser, wahrscheinlich auch jede Menge böse Menschen. Stadtkinder wussten so was.
    Wie waren die kleinen Knochen dann im Herz dieser grünschwarzen Finsternis gelandet?
    Ich hätte gerne geglaubt, dass das Kind vor Jahrhunderten hier hingelegt worden war, vom Dickicht überwachsenwie Dornröschen von den Rosen, die es und seine träumenden Höflinge schützten.
    Doch dann dachte ich an die zertrümmerten Rippen. Mord war das wahrscheinlichere Szenario. War das Kind hier ermordet worden?
    Der Ort war ideal für ein Verbrechen: weit genug von der Straße weg, dass kein Passant die Schreie hören konnte. Und beim Lärm der Züge, die alle paar Minuten vorbeikamen, hätten sogar die, die im selben Gestrüpp ihr Lager hatten, eine Kinderstimme nicht unbedingt gehört.
    Aber es war auch der perfekte Ort, um eine Leiche loszuwerden, wenn der Mord woanders geschehen war. Ein so kleiner Körper hätte leicht in eine Sporttasche gepasst.
    Dann hörten wir Sirenen, die lauter wurden, bis sie alle anderen Geräusche übertönten, als mehrere Streifenwagen in die kleine Sackgasse fuhren.
    Als der Lärm erstarb, hörte ich, wie mehrere Autotüren aufgingen, und dann das Klacken von harten Polizistenschuhsohlen auf dem rissigen Asphalt.
    Ein paar junge Männer in blauen Uniformen betraten den Friedhof und kamen direkt auf uns zu.

7
    Einer der Streifenpolizisten wurde eingeteilt, um uns Helfer auf der Wiese im Auge zu behalten. Auf dem Namensschild stand Officer Albie, was ihm anscheinend zu förmlich war, denn er bat uns verlegen, ihn Fergus zu nennen.
    Seine Kollegen hatten mit Cate gesprochen und begannen, das Dickicht mit gelbem Flatterband abzusperren, damit niemand über die Kinderknochen stolperte und den Tatort noch mehr verunreinigte, als ich es bereits getan hatte.
    Cates Teenager wurden langsam ungeduldig, weil sie nach Hause mussten, Hausaufgaben oder Hausarbeit erledigen oder auf kleinere Geschwister aufpassen oder wenigstens zur Telefonzelle um die Ecke, um ihren Eltern zu erklären, wo sie waren und warum es so lange dauerte. Der junge Beamte tat sein Bestes, dafür zu sorgen, dass alle ruhig sitzen blieben, und bat die Kids, »den Ball flach zu halten«, bis der leitende Ermittler kam oder wer sonst nötig war, um den ganzen Zirkus aufzulösen.
    Auch wenn ich nach der Entdeckung des winzigen Gerippes ziemlich durch den Wind war, tat mir der Kerl leid. Er sah aus, als wäre er selbst gerade mit der Schule fertig geworden, und Highschoolschüler waren ungefähr so schwer zu bändigen wie ein Rudel amphetamingetunter Frettchen nach einem Ölbad, vor allem, wenn sich im Hintergrund ein größeres Drama abspielte.
    Die Kids löcherten ihn mit Fragen, Forderungen und Einsprüchen, wenn sie
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