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Frühling

Frühling

Titel: Frühling
Autoren: Hermann Hesse
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/ VORFRÜHLING /
    Der Föhn schreit jede Nacht,
Sein feuchter Flügel flattert schwer.
Brachvögel taumeln durch die Luft.
Nun schläft nichts mehr,
Nun ist das ganze Land erwacht,
Der Frühling ruft.
    Bleib still, bleib still, mein Herz!
Ob auch im Blute eng und schwer
Die Leidenschaft sich rührt
Und dich die alten Wege führt –
Nicht jugendwärts
Gehn deine Wege mehr.
/ ERWACHEN AUS DER VERZWEIFLUNG /
    Aus Leides Trunkenheit
Emporgetaumelt seh ich
Durch Tränen zitternd die erneute Welt.
Schon duftet Sommer an den Wäldern hin –
O Abende voll grünem Schmelz, Sternhimmel du,
Wie sehnlich überfüllt ihr mir das Herz!
Freunde, lebt ihr noch? Wein, glühst du noch?
Bist du noch mein, verzauberte Welt,
Die ich durch Tränen nur und von ferne
Wandeln sehe, wo lang ich nur Leere sah?
Hebt noch einmal der alte Reigen an,
Zieht den Gestorbnen noch einmal der süße
Sommerzauber zurück?
Noch mißtraut dem Wunder die Seele,
Noch ist Sommer und Wald nicht wieder mein.
Aber heiliger glühn und klarer die Sterne,
Schweigend horch ich hinan, ihr Weltgeläut
Tönt mir ehern das Lied meines Schicksals,
Und mein Herz tönt zagenden Widerhall.
    // Eine der Freuden des Jahres, die ersten Blumen, hat man nun auch schon wieder gehabt! Wie rasch das alles geht! Das Leben ist zu kurz! Ich brenne darauf, wieder Lehm in die Hände zu nehmen und Menschen nach meinem Bilde zu gestalten, aber es ist noch nicht reif.
    (Aus einem Brief an Hermann Bodmer, ca. 1921)
/ NEUER FRÜHLING /
    Wie heult der Sturm mit Macht, mit Macht
Wild um die Felsen droben,
Als wollte er die Winternacht
Aus ihrem Schlummer toben.
Und durch den Wald der Wind sich ringt,
Daß sich die Föhren krümmen;
Doch aus dem Sturmeswehn es klingt
Wie helle Frühlingsstimmen.
So klingt mirs recht; so braust mirs wohl,
So mag es immer wehen:
Wenn sich der Frühling zeigen soll,
Muß erst das Eis vergehen.
Freu dich, mein Lieb; der Winter wich,
Der Frühling kommt gegangen
Und will uns beide, dich und mich,
Mit seiner Pracht umfangen.
Und will uns seine Blumen streun
Und liebvoll auf uns blicken
Und seiner blauen Augen Schein
Zu unsrem Glück noch schicken.

// Ich war etwa vierzehn Jahre alt, und es war im Vorfrühling, im Februar oder März, da lud ein Kamerad mich ein, eines Nachmittags mit ihm auszugehen, um ein paar Holunderstämmchen zu schneiden, die wollte er als Röhren beim Bau einer kleinen Wassermühle benutzen. Wir zogen also aus, und es muß ein besonders schöner Tag in der Welt oder in meinem Gemüt gewesen sein, denn er ist mir im Gedächtnis geblieben und hat mir ein kleines Erlebnis gebracht. Das Land war feucht, aber schneefrei, an den Wasserläufen grünte es schon stark, im kahlen Gesträuch gaben Knospen und erste aufbrechende Kätzchen schon einen Hauch von Farbe, und die Luft war voll Geruch, einem Geruch voll Leben und voll Widerspruch, es duftete nach feuchter Erde, faulendem Laub und jungen Pflanzenkeimen, jeden Augenblick erwartete man schon die ersten Veilchen zu riechen, obschon es noch keine gab. Wir kamen zu den Holundern, sie hatten winzige Knospen, aber noch kein Laub, und als ich einen Zweig abschnitt, drang mir ein bittersüßer, heftiger Geruch entgegen, der alle die andern Frühlingsgerüche in sich gesammelt, summiert und potenziert zu haben schien. Ich war ganz benommen davon, ich roch an meinem Messer, roch an meiner Hand, roch an dem Holunderzweig; sein Saft war es, der so dringlich und unwiderstehlich duftete. Wir sprachen nicht darüber, aber auch mein Kamerad roch lang und nachdenklich an seinem Rohr, auch zu ihm sprach der Duft. Nun, jedes Erlebnis hat eben seine Magie, und hier bestand mein Erlebnis darin, daß der kommende Frühling, schon beim Gehen über die feucht schwappenden Wiesenböden, beim Duft der Erde und Knospen von mir stark und beglückend empfunden, sich nun im Fortissimo des Holunderduftes zu einem sinnlichen Gleichnis und einer Bezauberung konzentrierte und steigerte. Vielleicht hätte ich, auch wenn dies kleine Erlebnis für sich allein geblieben wäre, diesen Geruch niemals mehr vergessen; vielmehr, jede künftige Wiederbegegnung mit diesem Geruch hätte mir wahrscheinlich bis ins Alter stets die Erinnerung an jenes erste Mal aufgeweckt, da ich den Duft bewußt erlebt hatte. Nun kommt aber noch etwas Zweites hinzu. Ich hatte damals bei meinem Klavierlehrer einen alten Band Noten gefunden, der mich gewaltig anzog, es war ein Band Lieder von Franz Schubert. Ich hatte darin geblättert, als ich einmal etwas
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