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Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)

Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)

Titel: Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)
Autoren: Adam Hochschild
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John und Eleanora French mit ihren Kindern das Brummen und Brüllen des Regimentsmaskottchens, eines Schwarzbären, hören.
    Für die Laufbahn eines ehrgeizigen jungen Offiziers war es förderlich, auf mehreren Kontinenten gedient zu haben. Daher war French hocherfreut, als die 19 th Hussars 1891 nach Indien verlegt wurden. In dieser größten und reichsten britischen Kolonie verbrachten viele Offiziere die entscheidenden Jahre ihrer Laufbahn, vollkommen überzeugt, einen heiligen, dem Allgemeinwohl dienenden Auftrag auszuführen.
    Aber dort war ihm keine militärische Aktion beschieden   – nur die übliche Friedenszeit-Routine mit Polofeld, Offizierskasino und turbantragenden Dienern. Ansonsten beschäftigte er sich damit, seine Husaren bis zur Erschöpfung zu drillen, indem er sie über die ganze Breite der weitläufigen indischen Maidans , der Exerzierplätze,hetzte: mit Vieren, im Schritt, im Trab, im Galopp, rechts schwenkt   … und hinter ihnen stiegen die Staubwolken auf. Da Eleanora mit den Kindern in England geblieben war, verbrachte French seine Freizeit damit, die Frau eines anderen Offiziers zu umgarnen, mit der er schließlich an einen jener in den Hügeln gelegenen Orte entschwand, wo die Briten der Sommerhitze des Tieflands zu entfliehen suchten. Daraufhin verklagte der wütende Offizier seine Frau auf Ehebruch und nannte French als Mitbeklagten. Gerüchten zufolge habe dieser auch etwas mit der Tochter eines Eisenbahnbeamten und der Frau seines Kommandeurs gehabt.
    Als French 1893 nach England zurückkehrte, führte die Kunde von diesen Eskapaden zu einem Karriereknick. Angesichts halber Bezüge, wie es bei Offizieren zwischen zwei Kommandos üblich war, sah sich die Familie gezwungen, zu einer toleranten älteren Schwester zu ziehen. Weit demütigender war der Umstand, dass der Kavallerist auf ein Fahrrad als kostengünstigere Alternative zum Pferd umsteigen musste   – ein Gefährt, das er nie richtig meisterte. Offizierskameraden beobachteten, wie er, unfähig aufzusitzen, neben dem Rad eine ganze Straße entlang hüpfte. Trotzdem bekam er seine Verschwendungssucht nicht in den Griff und musste das Familiensilber versetzen. In Ungnade gefallen, wartete er ungeduldig auf ein neues Kommando oder, besser noch, auf einen Krieg.
    In John Frenchs England waren die Prachtstraßen, auf denen ViktoriasJubiläumsparaden abgehalten wurden, in der Tat sehr eindrucksvoll, doch weite Teile Londons und anderer Städte waren nicht ganz so prächtig, denn kaum etwas von den Reichtümern, die das Land aus seinen Kolonien zog, erreichte die Armen. In einem überfüllten Reihenhaus nahe einer Kohlengrube teilte sich nicht selten eine Familie ein einziges Zimmer und die Anwohner einer ganzen ungepflasterten Straße eine einzige Schwengelpumpe; in den riesigen Londoner East-End-Slums wurde ein Bett in einem Boardinghouse unter Umständen von drei mittellosen Arbeitern benutzt, die sich beim Schlafen in Acht-Stunden-Schichten abwechselten. Unterernährung rief bei Kindern Wachstumsstörungen hervor und ließ ihre Zähne faulen. Fisch oder Fleisch bekamen sie allenfalls einmal in der Woche. Die Ärmsten der Armen endeten im Arbeitshaus, wo sie zwar ein Dach über dem Kopf und Arbeit hatten, aber wie Gefangene gehalten wurden. Barfuß   und in dünner, zerlumpter Baumwollkleidung froren sich die Arbeitshaus-Kinder durch den Winter, und oft hatten sie nur rohe Bänke ohne Rückenlehnen als Sitzgelegenheit. In den schlimmsten Elendsvierteln, wo rund 20 von 100 Kindern das erste Lebensjahr nicht überlebten, war die Säuglingssterblichkeit fast dreimal so hoch wie bei den Kindern der Begüterten. Während der Kampf gegen die Feinde des Empire in den entlegensten Winkeln der Welt Männer wie John French prägte, empfingen andere Briten dieser Generation   – in einigen Fällen sogar aus Frenchs Gesellschaftsschicht   – ihre entscheidenden Eindrücke im Kampf gegen die Ungerechtigkeit im eigenen Land und gegen die imperialen Kriege in der Fremde.
    Zu ihnen gehörte eine Frau, die der Nachwelt unter ihrem Ehenamen Charlotte Despard im Gedächtnis blieb. Ihre Eltern waren erzürnt, als sie bemerkten, dass sie und ihre fünf Schwestern über den Zaun ihres gepflegten Gartens kletterten, um mit den Dorfkindern zu spielen, und unterbanden es sofort. Das weckte in ihr   – jedenfalls nach ihrer Erinnerung   – den Geist der Rebellion, und mit zehn Jahren lief sie von zu Hause weg. Auf einem nahegelegenen Bahnhof habe
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