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Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)

Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)

Titel: Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)
Autoren: Adam Hochschild
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den sie dabei ertappt hatte, wie er Lebensmittel aus der Küche verkaufte, während die Frauen im Arbeitshaus sich mit Wasser und Brot begnügen mussten. Von nun an widmete Charlotte Despard ihre unerschöpfliche Energie den Frauen, die sich, wie sie schrieb, »ihr Leben lang plagen   … kaum ihren Lebensunterhalt verdienen und dem Tod oder der Kirche überlassen werden, wenn sie nicht mehr von Nutzen sind.«   17
    Die Biographien von Charlotte Despard und John French waren so gegensätzlich, wie man sie sich nur vorstellen kann. Er sollte die umfangreichste Streitkraft befehligen, die Großbritannien jemals ins Feld geschickt hatte; sie protestierte leidenschaftlich gegen jeden Krieg, den ihr Land führte, vor allem gegen den Krieg, in dem er Oberbefehlshaber war. Er ging nach Irland, um aufsässige Pachtbauern zur Raison zu bringen; sie kümmerte sich um die verarmten irischen Frauen von Battersea, die sie »meine Mitschwestern« nannte (obwohl diese möglicherweise nicht ganz auf die gleiche Weise von ihr gesprochen hätten). Beide gingen nach Indien, wo er Kavalleristen ausbildete, die dafür sorgen sollten, dass Indien britisch blieb, während sie als überzeugte Befürworterin der indischen Autonomie zurückkehrte. Zu einer Zeit, als sich das mächtige Weltreich kolonialen Aufständen in der Fremde und wütender Opposition im eigenen Land gegenübersah, blieb er ein unerschütterlicher Verteidiger der herrschenden Ordnung, während sie eine kämpferische Sozialistin wurde. Und doch, trotz alledem verband sie etwas: John French und Charlotte Despard waren Bruder und Schwester.
    Mehr als das: Fast ihr ganzes Leben lang standen sie sich nahe. Sie war acht Jahre älter als »Jack«, wie sie ihn nannte, und er war ihr geliebter kleiner Bruder, dem sie Lesen und Schreiben beigebracht hatte, nachdem die Eltern aus ihrem Leben verschwunden waren. Seine Liebesabenteuer und finanziellen Exzesse, über die andere Familienmitglieder entsetzt waren, schienen sie nie zu stören. Als er nach Indien abkommandiert wurde, hieß sie seine Frau Eleanora und die Kinder in Courtlands willkommen und überließ ihnen das Haus, während sie im unwirtlichen Battersea lebte. Und als French aus Indien zurückkehrte, überschattet von einer Wolke aus Schulden und Skandalen, nahm Charlotte auch ihn auf und lieh ihm Geld, nachdem seine anderen Schwestern längst damit aufgehört hatten.
    Ihre beiden sehr verschiedenen Welten kamen in Berührung, als Charlotte begann, in regelmäßigen Abständen einige arme Bewohner Batterseas in einen Pferdebus zu setzen und für einen Samstag oder Sonntag nach Courtlands zu fahren, weit ab vom Ruß und Kohlerauch der Stadt. Frenchs Sohn Gerald, der später seinem Vater nacheiferte und zum Militär ging, berichtete von einem solchen Tag, und der Ton seiner Erinnerung lässt ahnen, was der Rest der Familie wohl von Charlottes Bemühungen gehalten hat:

    I n einem gewissen Maße war es sicherlich amüsant, es hatte aber auch seine beschwerlichen Seiten. Beispielsweise waren sie mit mehreren Drehorgeln bewaffnet, die zu spielen sie von dem Augenblick ihrer Ankunft bis zu dem ihrer Abreise nicht müde wurden. Das Weibervolk begleitete sie, und so wurde während des größten Teils des Tages auf den Rasenflächen und der Auffahrt das Tanzbein geschwungen.
    Großzügig sprang mein Vater selbst   … in die Bresche und half, einige sportliche Betätigungen für die Männer zu organisieren   … Ich denke, er amüsierte sich mehr als alle anderen über das kuriose Gebaren der Eindringlinge, die unsere Ruhe und Stille störten. Sie schwärmten nach allen Seiten aus, und wenn der Abend kam und sie die Rückreise nach London antraten, waren zumindest wir nicht traurig, dass damit die Veranstaltung nun endlich ein Ende fand.   18
    John Frenchs Familie mag sich ja über die »Eindringlinge, die unsere Ruhe und Stille störten«, geärgert haben, aber schließlich war Courtlands immer noch Charlottes Besitz, obwohl sie sich für Wochenendbesuche mit einem kleinen Cottage auf dem Grundstück begnügte. French blieb seiner Schwester, die an seiner Erziehung mitgewirkt hatte, zärtlich zugetan. Als sie im Rathaus von Wandsworth in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Poor Law Board ihre erste öffentliche Rede hielt, begleitete er sie. Und als sie an der Tür von Lampenfieber überwältigt wurde, sprach er ihr Mut zu mit den Worten: »Nur nervöse Menschen können wirklich von Nutzen sein.«   19
    Trotz radikal
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