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nevermore

Titel: nevermore
Autoren: Heike
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Prolog
    Oktober 1849
     
    Edgars Hand auf der Armlehne zuckte. Kalter Angstschweiß perlte seine Stirn hinab und lief dann in einem kleinen Rinnsal an seiner Schläfe hinunter.
    Er kannte auf keinen Fall mit ihnen zurückgehen. Nicht jetzt.
    Er war so kurz davor, die Bande zu dieser Welt - zu ihrer Welt für immer Zu durchtrennen.
    Er hörte, wie die Tür des Abteils plötzlich aufgeschoben wurde, und wagte es, Sein Augenlid erneut anzuheben.
    Ein untersetzter Mann in Uniform betrat das Abteil. »Wir erreichen jetzt Baltimore«, verkündete er in monotonem Tonfall.
    Edgar wusste, dass der Mann seine Verfolger, ihre grotesken Grimassen Und teuflischen Klauen, nicht bemerken würde - dass er sie gar nicht bemerken konnte.
    Als der Schaffner an ihm vorbeiging, ergriff Edgar die Chance beim Schopf. Er duckte sich und benutzte die breitschultrige Gestalt des Mannes als Sichtschutz, während er von seinem Sitz glitt.
    Instinktiv schloss sich seine Hand fester um Dr. Carters Gehstock aus Malakkarohr, den er gegen seinen eigenen ausgetauscht hatte. Und in dessen Innerem eine glänzende Silberklinge schlummerte.
    Die Räder quietschten erneut. Ohne Vorwarnung kam der Zug abrupt zum Stehen.
    Edgar schwankte und schrie auf. Er hielt sich am Türrahmen fest und schaffte es; so, das Gleichgewicht zu halten. Als er sich umdrehte; sah er aus dem Augenwinkel, wie seine Verfolger ihre hohlen schwarzen Blicke hoben und ihm direkt in die Augen sahen.
    Edgar nahm die Beine in die Hand.
    Sie schlichen ihm nach und ihr wütendes Geflüster glich nun dem Geraschel eines aufgewirbelten Blättermeers.
    Edgar preschte durch das nächste Abteil und dann durch das übernächste. Der Weg wurde ihm von immer mehr Reisenden verstellt, die ihr Gepäck zusammensuchten und nichts von den Monstern ahnten, die sich an seine Fersen geheftet hatten. Irgendjemand schrie ihn entrüstet an, als er sich gewaltsam durch das Gewühl kämpfte und dabei einen Mann fast zu Boden stieß.
    Er erreichte die nächstgelegene Zugtür, stolperte nach draußen und taumelte auf den Bahnsteig, wobei ihm fast der Gehstock des Doktors aus der Hand glitt. Er umfasste den silbernen Griff fester und konnte, trotz der dichten Menschenmenge, nur mit Mühe dem Drang widerstehen, den darin verborgenen Säbel zu zücken.
    Mit einem durchdringenden Pfiff stieß der Zug eine Dampfwolke aus. Edgar hüllte sich in diesen Deckmantel ein und schlug den Kragen seines Umhangs hoch.
    Er sah, wie die Kreaturen aus dem Zug schlüpften und ihre Umrisse sich dabei in schwarze Nebelringe auflösten. Sie quollen aus der Tür heraus und vermengten sich kurz mit dem Dampf, der aus der Lok entwich, bevor sie wieder ihre eigentliche Gestalt annahmen.
    Groß gewachsen, hager und verwegen - die Dämonen kamen nur kurz zusammen und schwärmten dann wieder aus, um ihn aufzuspüren.
    Edgar mischte sich unter die anderen Reisenden. Er bahnte sich einen Weg durch dieses Meer aus Blinden und richtete seinen Blick auf den Zug, der ihn zurück nach Richmond bringen würde. Zurück zu seiner einzigen Hoffnung, die dort auf ihn wartete.
    Als er den Bahnsteig erreichte, verweilte er kurz mit dem Rücken zur Menschenmenge und zögerte. Als der Schaffner »Bitte alle einsteigen!« rief, griff Edgar nach dem Geländer und zog sich hoch.
    »Da!«, hörte er einen seiner Verfolger knurren.
    Er eilte in das Zugabteil und warf einen Blick zurück - nur einen einzigen Blick durch die verdunkelten Fenster. Ja, sie folgten ihm nach wie vor. Hartnäckig wie Höllenhunde!
    Erst als er das Tuckern der Dampflok vernahm, riss er die nächstgelegene Tür auf und sprang aus dem rollenden Zug zurück auf den Bahnsteig. Er rappelte sich auf und stürzte sich Hals über Kopf in die Menschenmenge, während die dampfschnaubende Eisenbahn hinter ihm mit seinen Verfolgern an Bord an Geschwindigkeit zulegte.
    Er wusste, dass er sie nicht lange würde hinters Licht führen können. Egal, es gab andere Möglichkeiten, wie er nach Richmond kommen konnte.
    Edgar bahnte sich einen Weg durch das Gedränge und erreichte die geschäftige Hauptstraße, wo er eine Kutsche herbeiwinkte.
    »Zum Hafen!«, rief er und schlug mit dem Gehstock gegen die Rückwand, als er die Tür hinter sich zuzog. Die Kutsche ruckelte, wankte und setzte sich in Bewegung.
    Edgar ließ sich nach hinten fallen und erlaubte es sich endlich, tief durchzuatmen. Mit zitternder Hand fasste er sich an die heiße Stirn, wo hinter seinem rechten Auge ein dumpfer Schmerz zu
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