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Mords-Bescherung

Mords-Bescherung

Titel: Mords-Bescherung
Autoren: Erich Weidinger
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Nicola Förg
    Schwedisches Gift
    Anneliese schlenderte an jenem ersten Advent langsam.
Ihrem Blick entging nichts. Die hier waren zu dick, die anderen ein klein wenig
ausgefranst. Jene hatten die Form verloren, waren einfach keine akkuraten
Kegel. Dort gefiel ihr die Dekoration überhaupt nicht, viel zu bunt. Viel zu
albern. Viel zu amerikanisch. Ihre waren perfekt, das würde man anerkennen
müssen. Endlich anerkennen müssen. Anneliese schlenderte weiter durch die
Turnhalle, in der sich der typische Geruch von Turnschuhen festgesetzt hatte
und eine etwas seltsame Geruchskombination mit den Exponaten einging.
Allmählich nahmen alle ihre Plätze ein, Anneliese war nun doch nervös, auf den
harten Holzstühlen konnte man sowieso nicht entspannt sitzen. »Gechillt« nannte
ihre Schwiegertochter das – Gott, um Himmels willen, hatte die Institution der
Schwiegertochter sicher nicht gewollt.
    Ella Grathwohl, die Pastorengattin, war unglaublich fett. Ihre
Stimme war hingegen piepsig und ihre Rede schon mit Ungeduld erwartet worden.
Denn nun kam der Höhepunkt der Weihnachtsfeier hier in der beschaulichen
Gemeinde in Oberschwaben. Sie kam ewig nicht zum Punkt, bedankte sich bei Hinz
und Kunz, auch noch bei ihrem »lieben Gatten«, und schuf immer neue
Satzgebilde. »So sind wir hier in der Gemeinde doch alle wie ein Zug. Die Lok
ist wichtig, aber was wäre die Lok ohne all die ganz unterschiedlichen Wagen!«,
zwitscherte sie.
    Und du bist auf jeden Fall ein rostiger Frachtwaggon, dachte
Anneliese. Diese Evangelen mit ihrem Geseier gingen Anneliese wirklich auf die
Nerven, da waren ihr die Katholen mit ihren Ritualen, die man auch noch im Koma
mitleiern konnte, weit lieber. Aber den Wettbewerb lobte nun mal jedes Jahr die
kleine evangelische Gemeinde aus.
    Endlich kam Ella zum Punkt. »Und dieses Jahr gewinnt den
Plätzchenwettbewerb unserer Gemeinde unsere liebe Agneta Bäuerle.«
    Anneliese war schon nahe dran aufzuspringen. Sie hatte das
trainiert. Aufspringen, sich dann ein wenig drehen und sonnen im Jubel der
Massen. Gerade noch hielt sie etwas am Stuhl fest. Es hatte geheißen Agneta
Bäuerle, nicht Anneliese Bäuerle. Zum dritten Mal in Folge hatte ihre Schwiegertochter
gewonnen! Anneliese sackte tiefer in ihren Stuhl. Sie hatte es immer schon
geahnt: Diese Schwedin zu heiraten, war der größte Fehler ihres Tommile
gewesen. Bloß weil sie so blond war und großbusig, blauäugig, einfach so
schwedisch war sie. Sie war immer gut drauf. Sie war emanzipiert und verdiente
als Designerin richtig Geld – und das mit albernen Pudelmützen, Bommelschals
und Handschuhen, deren Finger wie Tierköpfe aussahen. Sie hatte sogar zwei
Läden, einen in Biberach und einen in Ulm. Überall auf ihren Machwerken gab es
Elche und Rentiere. Die Zwillinge hatte sie früh in eine Krippe gegeben mit dem
Argument, das täte in Schweden doch jede Frau. Diese Rabenmutter! Und der Tanz,
als sie Thomas’ Namen annehmen sollte! Nur nach langem Hin und Her hatte sie
zugestimmt. Aber ihr Sohn Thomas, ihr geliebtes Tommile, war ja völlig
verblendet!
    Und nun hatte sie wieder gewonnen mit ihren dämlichen Plätzchen,
die ein akkurates Schachbrettmuster hatten und von kleinen Zucker-Elchen in
Neonfarben gekrönt waren. »Älgbröd« nannte sie ihre Kreation. Anneliese musste
zugeben, dass sie dieses Schachbrettmuster nie so hinbekam, es verlief immer
ein wenig. Und sie hatte letztes Jahr heimlich mal probiert, die Dinger
schmeckten wirklich gut: buttrig, nicht zu süß. Wie bekam sie das nur hin,
dieses schwedische Gift aus Uppsala?
    Agneta hatte ihren Preis, einen Essensgutschein für das Gasthaus
»Zum Bäumle«, erhalten, überall Hände geschüttelt und wieder atemberaubend
ausgesehen in ihren Stiefeln, der roten Strumpfhose und dem sehr kurzen
Strickrock. Anneliese hasste sie in dem Moment so sehr, dass ihr die Luft
wegblieb. So ging das nicht weiter. Abends waren Agneta und Thomas dann auch
gleich aufgebrochen, den Gutschein einzulösen, sie sollte auf die Zwillinge
aufpassen – das kam ihr zupass. Als die beiden Süßen – sie waren wirklich süß
und gar nicht so blond wie die Mutter, Anneliese hoffte auf die guten Gene
ihres Sohnes – schliefen, begann sie die Küche zu durchsuchen. Das Schwedengift
musste einen Trick haben. Anneliese hatte letztes Jahr sogar schon in den
einschlägigen Konditoreien in Ulm und um Ulm herum angerufen, in Biberach
natürlich auch, ob sie solche Plätzchen buken. Sie war sich sicher, dass Agneta
die
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