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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph
Autoren: Andreas Brandhorst
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1 Existenzen
 
Kerberos
3. Planet des Hades-Systems
April 421 SN (Seit Neubeginn)
     
    Das Etwas sah ohne Augen, hörte ohne Ohren und fühlte ohne Haut. Es dachte, ohne ein Gehirn zu haben, und es nahm seine Umgebung ohne ein Nervensystem wahr, das Informationen empfing und weiterleitete. Zeit spielte für dieses Noch-nicht-Wesen keine Rolle. Minuten waren wie Stunden, Stunden wie Sekunden. Es schwebte in einer Zwischenwelt, als eine Möglichkeit, eine biologische Eventualität, die zwar schon Substanz, aber noch keine Struktur hatte. Die Zellen der Basismasse bildeten ein amorphes Gebilde, das in einem speziellen Behälter ruhte, umgeben von Wärme und in Flüssigkeit gelösten Nährstoffen. Niederenergetische Impulse und Messenger-Substanzen stimulierten die Formationsmatrix, ließen die Zellen nach den Vorgaben eines Programms wachsen. Genetische Daten flüsterten durch den Mikrokosmos des Werdens, wiesen Stammzellen an, sich zu sammeln und zu spezialisieren.
    Das Etwas gedieh und trug in jeder einzelnen Zelle den Keim der Vielfalt. Während es wuchs, war es sich seiner Umgebung bewusst, ohne ein Bewusstsein zu haben. Es spürte, dass es mehr gab als nur die eigene Existenz. Dinge bewegten sich in einer externen Welt, und manche dieser Dinge standen mit ihm in Zusammenhang, denn sie beeinflussten die Art seines Wachstums, und deshalb waren sie wichtig. Diese Erkenntnis brachte eine neue Art der Differenzierung. Das Etwas begriff, dass es Wichtiges und Unwichtiges gab – damit war der erste Schritt zur Einteilung der Welt getan.
    Mehr Zeit verstrich, und allmählich gewann sie Bedeutung für das Etwas, das damit begonnen hatte, nach weiteren Erkenntnissen zu streben – sie erlaubten es ihm, weiter zu wachsen und mehr zu werden. Erste Strukturen zeichneten sich in ihm ab, kontrolliert von der Formationsmatrix, und an bestimmten Stellen in der noch weitgehend undifferenzierten Körpermasse sammelten sich spezielle Zellen, Exekutoren, die besondere Anweisungen der Matrix empfingen und daraufhin strukturelle Veränderungen bewirkten. In der Formationsmatrix wiederum bildeten sich Memoranten, Speicherzellen für die Daten, die nach wie vor aus der externen Welt kamen, steuerten, korrigierten, stimulierten und auf ein Später vorbereiteten, dessen Einzelheiten dem Etwas verborgen blieben, in dem es aber Bestimmung fühlte. Seine wachsende Existenz war kein Zufall; etwas wartete auf ihn, eine Aufgabe, ein Zweck.
    Und dann kam es plötzlich zu einer drastischen Veränderung.
    Der Datenstrom riss abrupt ab, und das ruhige Wachstum hörte auf, als die Formationsmatrix keine Messenger-Substanzen mehr empfing. Die bisher statische Umgebung erfuhr einen jähen Wandel. Aus Wärme wurde Hitze, eine Hitze, die Nährflüssigkeit verdampfen lief und zu verbrennen drohte. Risse bildeten sich in dem Behälter, und das Etwas glitt durch eine dieser Öffnungen, tropfte auf den Boden, während über ihm Flammen züngelten. Mehrere Explosionen donnerten, und alles erzitterte. Heiße Druckwellen zerschmetterten Glas und weitere Behälter, zerrissen Gespinste aus Basismasse, zerfetzten Programmierungsmodule und energetische Stimulatoren. Stimmen erklangen, Geschöpfe quiekten, Leben wich dem Tod. Das Etwas nahm all diese Eindrücke in sich auf, ohne eine Möglichkeit, sie zu verarbeiten und zueinander in Beziehung zu setzen, weitere Erkenntnisse aus ihnen zu gewinnen – dafür fehlten ihm Erfahrungen und ein ausgeprägtes bewusstes Selbst. In einem Rest von Nährflüssigkeit glitt es über den Boden, hinter mehreren Konsolen und Brutschränken vor dem Feuer geschützt, das sich immer mehr im Laboratorium ausbreitete, bis es schließlich ein Programmierungsmodul erreichte. Der Kontakt führte zu einer neuerlichen Veränderung, nicht weniger drastisch als die erste. Es kam zu einem weiteren Datenstrom, viel breiter, schneller und üppiger als zuvor. Die Formationsmatrix des Etwas empfing Myriaden Informationen, legte sie in ihren Memoranten ab und entwickelte weitere Speicherzellen, als der Datenstrom über die Kapazität der bereits existierenden hinausging. Eine Selektion fand nicht statt; dazu war die Matrix in ihrem derzeitigen Entwicklungszustand nicht fähig. Sie nahm die Daten auf und hielt sie bereit.
    Gefahr. Dem Etwas wurde klar, dass die Veränderungen in der externen Welt seine Existenz infrage stellten, und daraufhin aktivierte die Formationsmatrix mithilfe der Exekutoren das Grundprogramm der Selbsterhaltung – das Leben
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