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Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)

Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)

Titel: Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)
Autoren: Adam Hochschild
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optimistisch rosa gefärbten Gebiete auf der Weltkarte, wie etwa die Republik Transvaal in Südafrika, keineswegs für britisch hielten, so entließ ihr Präsident Paul Kruger doch zu Ehren der Jubilarin zwei Engländer aus dem Gefängnis. In Indien trug der Nizam von Haiderabad, der sich ebenfalls nicht als Untertan der britischen Krone betrachtete, dem Ereignis Rechnung, indem er jedem zehnten Strafgefangenen in seinen Gefängnissen die Freiheit schenkte. Kanonenboote im Hafen von Kapstadt feuerten Salutschüsse, in Rangun wurde ein Ball gegeben, in Australien teilte man Extrarationen Lebensmittel und Kleidung an die Aborigines aus und auf Sansibar lud der Sultan zu einem Jubiläumsbankett.
    Bei diesem Anlass vergaben sogar die Ausländer den Briten ihre Sünden. In Paris verkündete Le Figaro , selbst die Größe des kaiserlichen Roms werde von Viktorias Empire »erreicht, wenn nicht sogar übertroffen«; auf der anderen Seite des Atlantiks beanspruchte die New York Times praktisch eine Mitgliedschaft im Empire: »Wir sind ein Teil, ein großer Teil von Greater Britain, das so offenkundig dazu bestimmt ist, diesen Planeten zu beherrschen.«   3 Zu Ehren der Queen wurde im kalifornischen Santa Monica ein Sportfest veranstaltet, während ein Truppenkontingent der Vermont National Guard die Grenze zu Kanada überquerte, um an einer Jubiläumsparade in Montreal teilzunehmen.
    Viktoria war von diesen Beweisen der Zuneigung und Loyalität so überwältigt, dass an diesem Tag mehr als einmal Tränenspuren auf ihrem sonst so ungerührten Gesicht zu bemerken waren. In den Überseekabeln war der gesamte Telegraphenverkehr eingestellt worden, bis die Königin, bevor sie den Buckingham Palace für die Parade verließ, auf einen mit dem Central Telegraph Office verbundenen Knopf drückte. Von dort aus ging   – während die bunte Schar der Ulanen, Husaren, Kamelreiter, turbangeschmückten Sikhs, der Borneo Dyak Police und Royal Nigerian Constabulary durch die Stadt paradierte   – ihre Grußbotschaft im Morsealphabet in jeden Teil des Weltreichs, von Barbados bis Ceylon, von Nairobi bis Hongkong: »Von Herzen danke ich meinem Volk. Möge Gott euch segnen.«   4
    Die Waffengattung, die während der Parade zum diamantenen Thronjubiläum die lautesten Hochrufe ausbrachte, war es auch, die, wie jeder wusste, den Sieg in Großbritanniens künftigen Kriegen garantierte: die Kavallerie. Auch in Friedenszeiten wusste die herrschende Klasse Großbritanniens, dass ihr angestammter Platz der Pferderücken war. Sie war, wie es ein radikaler Journalist damals formulierte, »eine kleine auserwählte Aristokratie«, die »gestiefelt und gespornt zum Reiten geboren wird« und alle anderen »für eine dumpfe Masse hält, die gesattelt und gezäumt zum Gerittenwerden geboren wird«. 5 Die Wohlhabenden züchteten Rennpferde, die High Society strömte in Scharen zu Pferdeauktionen, und etliche Kabinettsmitglieder waren Stewards des Jockey Club. Als ein Pferd von Lord Rosebery, dem Premierminister, 1894 das prestigeträchtige, hochdotierte Epsom Derby gewann, schickte ihm ein Freund ein Telegramm: »Nun bleibt nur noch der Himmel.«   6 Leidenschaftliche Aficionados der Fuchsjagd warfen sich bis zu fünf oder sechs Tage in der Woche in ihre roten Röcke und auf ihre Pferde, um über Felder und Steinmauern hinter kläffenden Meuten herzujagen. Vom Privatkaplan des Duke of Rutland hieß es, er trage Stiefel und Sporen unter seiner Soutane. Pferde und Jagden wurden sogar von Seeleuten bewundert. Wer es sich leisten konnte, ließ sich eine beliebte Tätowierung stechen, auf der Reiter und Hunde, über den ganzen Rücken des Mannes verteilt, hinter einem Fuchs herjagten, der auf die Spalte zwischen den Hinterbacken zulief. Immerhin stellte die Fuchsjagd die größtmögliche zivile Annäherung an die Ruhmestaten der Kavallerieattacke dar.
    Für jeden Engländer aus gutem Haus, der sich für eine militärische Laufbahn entschied, war es selbstverständlich, die Kavallerie zu wählen. Allerdings stand sie nicht jedem offen, denn sie war die teuerste Gattung des Heeres. Bis 1871 mussten britische Offiziere ihre Patente kaufen wie die Mitgliedschaft in einem exklusiven Club. (»Grundgütiger Himmel«, soll ein frischgebackener Subalternoffizier gesagt haben, als er auf seinen Bankauszügen eine Einzahlung des Kriegsministeriums entdeckte. »Ich wusste gar nicht, dass wir bezahlt werden.«   7 ) Nachdem der Erwerb von Offizierspatenten abgeschafft
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