Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)

Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)

Titel: Der Große Krieg: Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg (German Edition)
Autoren: Adam Hochschild
Vom Netzwerk:
worden war, mochte ein gerade ernannter Infanterie- oder Artillerieleutnant, wenn er einem schlichten Regiment angehörte, von seinen Bezügen leben können, nicht aber ein Kavallerieoffizier. Denn da kam einiges hinzu: die erforderlichen Clubmitgliedschaften, ein persönlicherDiener und ein Stallbursche, Uniformen, Sättel und vor allem der Erwerb und der Unterhalt der eigenen Pferde: ein oder zwei Dienstpferde für die Schlachten, zwei Jagdpferde für die Verfolgung der Füchse und natürlich zwei Poloponys. Ein Privateinkommen von mindestens 500 Pfund   – etwa 65   000 Dollar nach heutiger Kaufkraft   – war unabdingbar. Und so füllten sich die Reihen der Kavallerieoffiziere mit Männern von den großen Landsitzen.
    Ende des 19. Jahrhunderts waren Schwert (Pallasch) und Lanze des Kavalleristen gar nicht so verschieden von den Waffen, die 1415 bei Azincourt geführt wurden; daher war die Kavalleriekriegsführung die vollkommene Verkörperung der Idee, dass in der Schlacht nicht die Waffe entscheide, sondern der Mut und die Geschicklichkeit des Kriegers. Obwohl die Kavallerie nur einen geringen Prozentsatz der britischen Streitkräfte stellte, sorgte ihr Prestige dafür, dass Kavallerieoffiziere einen überproportionalen Anteil an höheren Posten in der Armee bekleideten. So kam es, dass von 1914 bis 1918, ganze 500 Jahre nach Azincourt und in einem Kampf, der sich unvorstellbar gewandelt hatte, zwei Kavalleristen nacheinander als Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte an der Westfront eingesetzt wurden   – und das im tödlichsten Krieg, den das Land je erlebte.
    Die militärische Laufbahn des einen begann 1874, also 40 Jahre zuvor, als   er es mit 21 Jahren, nachdem er seine Beziehungen hatte spielen lassen, zum Leutnant im 19 th Regiment of Hussars gebracht hatte. John French wurde auf dem Familiensitz im ländlichen Kent geboren; sein Vater, dessen   Familie ursprünglich aus Irland stammte, war Marineoffizier im Ruhestand. French mochte mit seiner geringen Körpergröße nicht unbedingt dem Idealbild des schneidigen Kavalleristen entsprechen, doch besaß er andere Eigenschaften   – ein fröhliches Lächeln, schwarze Haare, einen dichten, schwarzen Schnurrbart und blaue Augen   –, die auf Frauen unwiderstehlich   wirkten. Seine Briefe zeugten von großer Herzenswärme; einem General a.   D., der ein wenig Aufmunterung brauchte, schrieb French: »Sie genießen die aufrichtige Zuneigung eines jeden wahren Soldaten, der jemals unter Ihnen gedient hat, und jeder von ihnen würde morgen für Sie an jeden beliebigen Ort der Welt gehen. Meinen großartigen Kameraden und Freunden habe ich stets gesagt, am liebsten würde ich sterben, indem ich, unter Ihnen dienend, die tödliche Kugel empfange.«   8 Schwierigkeitenbereitete es French indessen, sein Geld zusammenzuhalten   – keine lässliche Schwäche angesichts der enormen finanziellen Verpflichtungen eines Kavallerieoffiziers. Er gab horrende Summen für Pferde, Frauen und riskante Investitionen aus, machte Schulden und bat andere um Hilfe. Beim ersten Mal half ihm ein Schwager aus der Patsche; wenig später pumpte er mehrere Verwandte und Freunde an.
    Offiziere der 19 th Royal Hussars trugen schwarze Hosen mit doppeltem goldenen Seitenstreifen und lederverbrämte rote Mützen mit goldenem Abzeichen. Von April bis September exerzierten sie an den Wochentagen, um sonntags geschlossen zur Kirche zu marschieren, in Galauniform mit klirrenden Sporen und Säbelgehängen und schwarzen Lederstiefeln, die nach Pferdeschweiß rochen. Den Herbst und den Winter verbrachten French und seine Offizierskameraden großenteils auf den heimischen Landsitzen und vergnügten sich mit einer endlosen Folge von Jagden, Hindernisrennen und Polospielen.
    Wie viele Offiziere in dieser Zeit vergötterte French Napoleon als den größten General aller Zeiten, kaufte sich Napoleon-Devotionalien, wenn er flüssig war, und hatte eine Büste des Kaisers auf seinem Schreibtisch stehen. Er las militärgeschichtliche Bücher, Jagdgeschichten und die Romane von Charles Dickens, aus denen er lange Abschnitte auswendig lernte. Wenn später jemand einen Satz zitierte, den er irgendwo in Dickens’ Werken gelesen hatte, konnte French den Absatz nicht selten aus dem Gedächtnis beenden.
    Bald nach Frenchs Eintritt in das Regiment wurden die 19 th Hussars in das ewig von Unruhen geplagte Irland entsandt. Die meisten Iren glaubten in einer ausgebeuteten Kolonie zu leben. Stets
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher