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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
Autoren: Michael Crichton
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wußte, war er gezwungen, unbemerkt das ganze Haus zu durchsuchen – ein Haus voller Bewohner und Dienstboten –, und das nur mit Hilfe einer abgeblendeten Laterne, die nur einen schwachen Lichtstrahl warf. Mit anderen Worten, die Schwierigkeiten waren so groß, daß sich der Versuch oft von vornherein gar nicht lohnte. Pierce konzentrierte daher seine Bemühungen darauf, herauszufinden, wo Mr. Edgar Trent, Seniorchef der Firma Huddleston & Bradford, seinen Schlüssel aufbewahrte.
    Die erste Frage war, ob Mr. Trent seinen Schlüssel in der Bank verwahrte. Die einfachen Angestellten von Huddleston & Bradford nahmen ihr Essen um ein Uhr mittags in dem der Bank gegenüberliegenden Pub »Pferd und Reiter« ein. In dem kleinen Lokal war es um die Mittagsstunde meist voll und sehr heiß. Pierce machte sich an einen der Buchhalter heran, einen jungen Mann namens Rivers.
    Die meisten Angestellten der Bank hüteten sich gewöhnlich vor Zufallsbekanntschaften. Man wußte nie, ob man nicht mit einem Verbrecher sprach, der einen aushorchen wollte.
    Rivers aber machte sich da keine weiteren Sorgen. Er war fest davon überzeugt, daß die Bank gegen jeden Einbruchsversuch gefeit war. Doch mochte es auch daran liegen, daß er Grund zu haben glaubte, der Bank zu grollen.
    Letzteres ist vielleicht verständlich, wenn man die revidierte »Büroordnung für Angestellte« liest, die Mr. Trent zu Beginn des Jahres 1854 hatte aushängen lassen.
    1 . Gottesfurcht, Sauberkeit und Pünktlichkeit sind die Eckpfeiler des Geschäftslebens.
    2 . Die Firma hat den Arbeitstag auf die Stunden von 8 Uhr 30 bis 19 Uhr verkürzt.
    3 . Gemeinsame Gebete werden allmorgendlich im Hauptbüro abgehalten. Die Angestellten haben anwesend zu sein.
    4 . Würdige und unauffällige Kleidung ist unerläßlich. Es ist den Angestellten untersagt, grelle Farben zu tragen.
    5 . Zum Wohl der Angestellten hält die Firma einen Ofen bereit. Es wird empfohlen, daß jeder Angehörige in der kalten Jahreszeit pro Tag vier Pfund Kohle mitbringt.
    6 . Angestellte, die ihren Arbeitsplatz vorübergehend verlassen wollen, benötigen dazu die Erlaubnis von Mr. Roberts. Die natürlichen Bedürfnisse sind gestattet.
    Die Angestellten werden diesbezüglich auf den Garten hinter dem zweiten Tor verwiesen. Dieses Gelände ist peinlich sauber und in guter Ordnung zu halten.
    7 . Während der Geschäftsstunden sind private Gespräche nicht erlaubt.
    8 . Das Verlangen nach Tabak, Wein oder Spirituosen ist eine menschliche Schwäche und als solche den Angestellten untersagt.
    9 . Die Angestellten sind gehalten, sich selbst mit den nötigen Schreibfedern zu versorgen.
    10 . Die Geschäftsleitung erwartet zum Ausgleich für diese geradezu utopischen Arbeitsbedingungen eine erheblich gesteigerte Arbeitsleistung.
    Ob utopisch oder nicht, die Arbeitsbedingungen bei Huddleston & Bradford hielten den Buchhalter Rivers nicht davon ab, sich sehr offen über Mr. Trent zu äußern. Und das mit erheblich weniger Begeisterung, als man angesichts eines so utopischen Dienstherrn hätte erwarten sollen.
    »Ein bißchen pedantisch ist er«, sagte Rivers. »Punkt acht Uhr dreißig klappt er den Deckel seiner Uhr auf und kontrolliert, ob jeder an seinem Platz ist. Entschuldigungen läßt er nicht gelten. Gott sei dem Mann gnädig, dessen Pferdeomnibus sich in der Hauptverkehrszeit verspätet hat.«
    »Er verlangt, daß alles wie am Schnürchen läuft, was?«
    »Er treibt’s auf die Spitze, daß es eine Art hat. Er ist wirklich ein harter Bursche – die Arbeit muß getan werden, und das ist alles, was ihn interessiert. Er kommt allmählich in die Jahre«, sagte Rivers. »Eitel ist er auch noch. Hat sich Koteletten wachsen lassen, die sind länger als Ihre. Soll wohl ein Ausgleich dafür sein, daß ihm oben auf der Platte die Haare ausgehen.«
    Damals wurde heftig darüber debattiert, ob ein Herr von Welt sich Koteletten wachsen lassen dürfe oder nicht. Es war eine neue Mode. Über ihre Vorzüge gab es geteilte Meinungen. Ähnlich verhielt es sich mit einer anderen Mode, die kürzlich aufgekommen war: das Rauchen sogenannter Zigaretten. Aber die konservativsten Männer rauchten überhaupt nicht – in der Öffentlichkeit ganz gewiß nicht, aber auch nicht zu Hause. Und die konservativsten Männer waren überdies glattrasiert.
    »Er hat sich übrigens so eine Bürste besorgt«, fuhr Rivers fort. »Dr. Scotts elektrische Haarbürste. Kommt direkt aus Paris. Wissen Sie, wie teuer die ist? Kostet zwölf
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