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Die Strafe - The Memory Collector

Titel: Die Strafe - The Memory Collector
Autoren: Meg Gardiner
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KAPITEL I
    Später erinnerte sich Seth an kalte Luft und flammende Streifen am westlichen Himmel, an Musik in seinen Ohren und sein heftiges Atmen. Später verstand er, und dieses Verständnis steckte wie ein Stachel in seinem Gedächtnis. Er hatte sie nicht einmal kommen hören.
    Der Weg durch den Golden Gate Park war von tiefen Furchen durchzogen, und er hatte beim Fahren die Kopfhörer aufgesetzt und die Lautstärke hochgedreht. Die Gitarre war im Rucksack über die Schultern geschnallt. Durch die Eukalyptusbäume flackerte tiefrot der Sonnenuntergang. Am Kennedy Drive hüpfte er mit dem Fahrrad über den Randstein, raste über die Straße und nahm die Abkürzung durch den Wald. Nur noch einen halben Kilometer bis nach Hause.
    Er war spät dran. Aber wenn er Gas gab, schaffte er es vielleicht trotzdem vor seiner Mom nach Hause. Sein Atem dampfte durch die Luft. In seinen Ohren dröhnte die Musik. Fast hätte er Whiskeys Bellen überhört.
    Er warf einen Blick über die Schulter. Fünfzig Meter hinter ihm stand der Hund stocksteif auf dem Weg. Schlitternd
stoppte Seth. Er schob die Brille hoch, aber der Pfad lag im Schatten, und er konnte nicht erkennen, warum Whiskey bellte.
    Er piff und winkte. »Hey, jetzt komm schon.«
    Whiskey war ein großer Hund, zum Teil Irish Setter, zum Teil Golden Retriever. Und zum Teil Sofakissen. Dazu so lieb, dass es schon fast wehtat. Aber jetzt war sein Nackenfell gesträubt.
    Wenn ihm Whiskey davonlief, brauchte er bestimmt ewig, um ihn wieder einzufangen. Dann kam er richtig zu spät. Doch Seth war fünfzehn - erst in einem Monat, na schön - und für Whiskey verantwortlich.
    Wieder pfiff er. Whiskeys Blick huschte nur kurz zu ihm herüber. Der Hund war eindeutig beunruhigt.
    Seth zupfte die Ohrstöpsel heraus. »Whiskey, jetzt komm endlich.«
    Der Hund rührte sich nicht. Hinter dem Park auf der Fulton Street rauschte der Verkehr. In den Bäumen sangen Vögel, oben donnerte ein Flugzeug. Und er hörte Whiskey knurren.
    Seth fuhr zu ihm zurück. Vielleicht ein Waschbär; Waschbären konnten selbst in San Francisco Tollwut haben.
    Neben dem Hund stoppte er. »Hey, Junge, ganz ruhig.« Hinten auf dem Kennedy Drive wurde eine Autotür zugeschlagen. Das Knirschen von Stiefeln auf Blättern und Kiefernnadeln. Whiskey legte die Ohren an. Seth packte ihn am Halsband. Der Hund zitterte vor Anspannung.
    Der Vogelgesang war verstummt.
    »Bei Fuß.« Seth drehte sich um.
    Zehn Schritt von ihm entfernt im Halbdunkel stand ein
Mann. Die Überraschung prickelte hoch bis in Seths Haarspitzen.
    Der kahlgeschorene Schädel des Mannes ging ohne Unterbrechung direkt in die Schultern über. Die Arme hingen an den Seiten herunter. Er sah aus wie eine Frankfurter, die den ganzen Tag gekocht worden war.
    Er deutete mit dem Kinn auf Whiskey. »Ein echter Prachtkerl. Wie heißt er?«
    Die Sonne war fast untergegangen. Warum trug der Typ eine Sonnenbrille?
    Der Kerl schnippte mit den Fingern. »Komm zu mir, Hund.«
    Seth hielt Whiskey am Halsband fest. Das Prickeln war jetzt überall, und hinter den Augen spürte er ein helles Klopfen. Was wollte der Typ?
    Der Kerl neigte den Kopf. »Ich hab dich gefragt, wie er heißt, Seth.«
    Hinter Seths Augen hämmerte es jetzt laut. Seth war schlaksig und hatte kupferfarbenes Haar, das abstand wie Stroh, und blassblaue Augen, die ideal waren für den strafenden Ausdruck, den seine Mutter als Tausendmeterblick bezeichnete. »Du siehst mich schon genauso an wie dein Vater«, sagte sie manchmal. »Warum immer ich?«
    Seth umklammerte Whiskeys Halsband. Warum immer er ? Warum, warum - o Scheiße, das hier hatte was mit seinem Dad zu tun.
    Was wollte der Typ? Und wieso von ihm?
    Los! Er hackte in die Pedale und zischte ab wie ein Windhund, im Neunziggradwinkel weg von dem Typen, direkt in den Wald.

    »Whiskey, Fuß «, brüllte er.
    Es gab keinen Pfad, nur holperigen Boden, der mit braunem Gras und Laub bedeckt war. Seine Hände krallten sich um den Lenker, und er strampelte mit einer Heftigkeit, die er seinen Beinen nicht zugetraut hätte. Seine Brille hüpfte auf der Nase. Die Ohrstöpsel flogen nach unten und prallten gegen den Rahmen. Blecherne Klänge waberten heraus.
    Hinter ihm bellte Whiskey. Seth wagte es nicht, sich umzuschauen.
    Der Kerl war nicht der Einzige. Whiskey hatte in Richtung Kennedy Drive geknurrt, und Seth hatte eine Autotür und Schritte auf dem Weg gehört. Er hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand einen Apfel in die Kehle gerammt. Zwei Typen,
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