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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
Autoren: Michael Crichton
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Junggeselle, unterhielt jedoch ein Haus in der Curzon Street 19 in einem vornehmen Viertel Londons, verbrachte aber große Teile des Jahres im Ausland. Seine Reisen sollen ihn nicht nur auf den Kontinent, sondern auch nach New York geführt haben.
    Zeitgenössische Beobachter nahmen ihm seine aristokratische Herkunft offenkundig ab; in späteren Zeitungsberichten über den großen Eisenbahnraub wurde Pierce oft als »aus der Art geschlagen« bezeichnet. Die Vorstellung, daß ein Mann von hoher Geburt sich einem verbrecherischen Leben zugewandt hatte, war so aufregend und prickelnd, daß niemand sie ernsthaft als unzutreffend zu entlarven wünschte.
    Es findet sich jedoch kein zuverlässiger Anhaltspunkt dafür, daß Pierce tatsächlich der Oberschicht entstammte.
    Über seine Lebensumstände vor 1850 läßt sich so gut wie nichts mit Sicherheit sagen. Heutigen Lesern, denen der Begriff der »eindeutigen Identifizierung« alltäglich und vertraut erscheint, mögen sich darüber wundern, daß man nicht genauer über Pierce’ Vergangenheit Bescheid weiß.
    Doch zu einer Zeit, in der Geburtsurkunden eine Neuerung, die Fotografie eine Kunst, die in den Kinderschuhen steckte, und polizeiliche Fingerabdrücke noch gänzlich unbekannt waren, war es äußerst schwierig, einen Menschen mit einiger Sicherheit zu identifizieren, und Pierce verwandte besondere Sorgfalt darauf, seine Identität zu verschleiern. Selbst seinen Namen wissen wir nicht genau: im Verlauf des Prozesses behaupteten verschiedene Zeugen, ihn als John Simms, Andrew Miller oder als Robert Jeffers gekannt zu haben.
    Die Quelle seines offensichtlich üppigen Einkommens lag ebenfalls im dunkeln. So hieß es, er sei stiller Teilhaber von Jukes, einem höchst erfolgreichen Unternehmen, das KrocketAusrüstungen herstellte. Krocket war bei jungen Damen mit sportlichen Neigungen über Nacht zum letzten Schrei geworden. Es lag durchaus nahe, daß ein gewitzter junger Geschäftsmann, der eine bescheidene Erbschaft in einem solchen Unternehmen anlegte, zu ansehnlichem Vermögen kam.
    Andere behaupteten, Pierce besitze einige Gasthäuser und nenne überdies ein Droschkenunternehmen sein eigen, das einem besonders düster aussehenden Kutscher namens Barlow unterstehe, einem Mann mit einer weißen Narbe auf der Stirn. Diese Version dürfte schon eher der Wahrheit entsprechen, denn der Besitz von Kneipen und Droschken war ein Gewerbe, in dem Verbindungen zur Unterwelt hilfreich sein konnten.
    Natürlich läßt sich nicht ausschließen, daß Pierce wirklich ein Mann von hoher Geburt mit einer artistokratischen Erziehung war. Man darf nicht vergessen, daß Winchester und
    geprägt wurden als durch das Bemühen um ernsthafte und nüchterne Gelehrsamkeit. Der profundeste wissenschaftliche Kopf der viktorianischen Zeit, Charles Darwin, widmete den größten Teil seiner Jugend dem Glücksspiel und den Pferden. Den meisten jungen Männern von Stand lag mehr an akademischem Gehabe als an akademischem Wissen.
    Ebenso zutreffend ist, daß in der viktorianischen Zeit mancher gescheiterte Akademiker in der Unterwelt Zuflucht fand. Die meisten verlegten sich auf das Abfassen von Bettelund Drohbriefen oder von gefälschten Empfehlungsschreiben, doch fälschten sie auch sonst manche Papiere und Scheine. Mitunter wurden sie auch Trickbetrüger. Meist jedoch waren sie kleinere Gauner, armselige Gestalten, die man eher bedauerte als verdammte.
    Edward Pierce dagegen war ein Gauner großen Stils.
    Woher immer sein Vermögen oder auch er selbst stammte, eines war sicher: er war ein Meister im Öffnen von Geldschränken und hatte bei seinen großen Brüchen im Laufe der Jahre genug Kapital zusammengebracht, um groß angelegte verbrecherische Unternehmungen finanzieren zu können. So wurde er zu dem, was man in diesen Kreisen einen »Kopf« nannte. Und um die Mitte des Jahres 1854 war sein Plan, den größten Coup seines Lebens zu landen, der Plan für den großen Eisenbahnraub, bereits weit gediehen.

Der Schlüßler
    Robert Agar, ein bekannter »Schlüßler« oder Spezialist für Schlüssel und Geldschränke, sagte vor Gericht aus, er hätte Edward Pierce zwei Jahre aus den Augen verloren gehabt, als er ihm Ende Mai 1854 wieder begegnete. Agar war sechsundzwanzig Jahre alt und erfreute sich guter Gesundheit, wenn man von einem bösen Husten absieht, einem Erbe seiner Kindheit, in der er für einen Zündholzhersteller in der Wharf Road, Bethnal Green, gearbeitet hatte.
    Die Arbeitsräume des
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