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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
Autoren: Michael Crichton
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Unternehmens waren schlecht belüftet gewesen. Weiße Phosphordämpfe hatten von morgens bis abends die Luft verpestet. Man wußte zwar, daß Phosphor giftig war, aber es hatte immer genügend Leute gegeben, die begierig jede Arbeit übernahmen, selbst eine Tätigkeit, welche die Lungen zerfraß oder den Kiefer abfaulen ließ – was mitunter nur eine Sache weniger Monate war.
    Agar war ein Zündholzstipper gewesen. Er hatte zarte Finger, und so wandte er sich zu gegebener Zeit seinem Handwerk als Schlüßler zu, einem Gewerbe, in dem er sofort erfolgreich war. Er arbeitete sechs Jahre lang als Schlüßler, ohne je gefaßt zu werden.
    Agar hatte in der Vergangenheit mit Pierce nie direkt zu tun gehabt, doch war ihm Pierce als Meisterknacker, der vorwiegend auswärts arbeitete – was die langen Zeiten seiner Abwesenheit von London erklärte –, bekannt. Agar war ebenfalls zu Ohren gekommen, daß Pierce das Geld besaß, von Zeit zu Zeit ein größeres Ding zu drehen.
    Agar sagte aus, ihre erste Begegnung habe im Gasthaus »Bulle und Bär« an der Peripherie des berüchtigten Verbrecherviertels Seven Dials stattgefunden. Diese wohlbekannte Absteige war, wie ein zeitgenössischer Beobachter schrieb, »ein Treffpunkt weiblicher Wesen aller Art, die sich als Damen herausputzten, wie auch Angehöriger der kriminellen Klasse, wie man sie hier an jeder Straßenecke sah.«
    Angesichts des üblen Leumunds, den dieses Lokal genoß, war es nicht verwunderlich, daß sich fast immer ein Konstabler der Metropolitan Police in Zivilkleidung irgendwo in den Räumen des Hauses aufhielt. Herren der Gesellschaft mit einem Hang zum Vulgären waren im »Bulle und Bär« aber keine Seltenheit. Die Unterhaltung der beiden elegant gekleideten jungen Lebemänner, die an der Theke lehnten und dabei die im Raum anwesenden Frauen musterten, zog also keine besondere Aufmerksamkeit auf sich.
    Es sei eine zufällige Begegnung gewesen, sagte Agar aus. Pierce’ Auftauchen habe ihn jedoch nicht überrascht. Er, Agar, habe damals, in der Zeit vor dem Treffen, einiges über Pierce gehört und daraus den Eindruck gewonnen, daß Pierce einen größeren Coup vorhabe. Agar erinnerte sich, daß die
    Unterhaltung ohne Begrüßung und ohne Präliminarien begonnen habe.
    Agar sagte: »Wie ich höre, ist Hackensprung-Jack aus London verduftet.«
    »Habe ich auch schon gehört«, sagte Pierce. Er schlug mit seinem Stöckchen, das ein silberner Knauf schmückte, auf den Tresen, um den Mann hinter der Theke aufmerksam zu machen. Pierce bestellte zwei Gläser vom besten Whisky des Hauses – für Agar ein Zeichen, daß eine geschäftliche Unterredung bevorstand.
    »Mir ist zu Ohren gekommen«, sagte Agar, »daß Jack einen Abstecher in den Süden gemacht hat, um dort die Badegäste ein wenig auszunehmen.« In jenen Tagen verließen die Taschendiebe Londons die Stadt im späten Frühjahr und reisten nach Norden oder nach Süden, um sich in anderen Städten zu betätigen. Das wichtigste Kapital eines Taschendiebs war seine Anonymität. Ein bestimmtes Revier ließ sich nicht allzu lange abgrasen; über kurz oder lang fiel man unweigerlich der Polente, die ihre Runde machte, auf.
    »Von seinen Plänen weiß ich nichts«, sagte Pierce.
    »Ich habe auch gehört«, fuhr Agar fort, »daß er den Zug genommen hat.«
    »Durchaus möglich.«
    »Wie ich höre«, sagte Agar und ließ Pierce dabei nicht aus den Augen, »hat er bei dieser Bahnfahrt etwas für einen bestimmten Herrn, der ein Ding vorhat, ausbaldowert.«
    »Durchaus möglich«, sagte Pierce wieder.
    »Ich habe auch gehört«, sagte Agar mit einem plötzlichen Grinsen, »daß Sie ein Ding vorhaben.«
    »Mag sein«, sagte Pierce. Er nippte an seinem Whisky und starrte auf sein Glas. »Der Whisky war hier schon mal besser«, sagte er nachdenklich. »Neddy scheint seine Vorräte mit Wasser zu strecken. Übrigens, was für ein Ding soll ich denn vorhaben?«
    »Einen Raub«, sagte Agar. »Mit einer fetten Sore, um die Wahrheit zu sagen.«
    »Um die Wahrheit zu sagen«, wiederholte Pierce. Die Formulierung schien ihn zu amüsieren. Er wandte sich von der Theke ab und musterte wieder die anwesenden Frauen. Einige erwiderten ermunternd seinen Blick. »Jeder will immer von dem ganz großen Ding gehört haben«, sagte er schließlich.
    »Ja, so ist’s«, gab Agar zu und seufzte. (Vor Gericht ließ Agar keinen Zweifel darüber, wieviel Schauspielerei bei diesem Tête-à-tête mit im Spiel war. »Also, ich lasse da einen
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