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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis
Autoren: Starhawk
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Kapitel 1
    Es war zur großen Trockenzeit. Eine alte Frau kletterte auf einen Hügel. Wie die meisten Menschen im südlichen Teil der Stadt nannte sie diese Jahreszeit »El Tiempo de la Segadora«, die Zeit der Großen Schnitterin. Dürre überall, Grün nur dort, wo die Gärten noch genug Wasser aus den Zisternen bekamen. Regen war noch für Wochen nicht zu erwarten.
    Die alte Frau erklomm den Hügel, wie sie früher Berge erklommen hatte, einen Schritt nach dem anderen, den Stock fest vor sich aufpflanzend. Die alte Frau war 98 Jahre alt, geboren in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Noch zwei Jahre und sie würde die Mitte des 21. Jahrhunderts erleben. In ihrer Jugend hatte sie vieles erklommen: Wüsten-Gipfel, Pyramiden, Stacheldrahtzäune. Sie hatte Verzweiflung erlebt und neue Hoffnung.
    Der Hügel reckte sich wie ein schwangerer Bauch über den südlichen Teil der Stadt, über den grünen Flickenteppich aus Häusern und Gärten und Wegen und den blauen Wassern der San Francisco Bucht. Bei der Göttin, dachte die alte Frau, sie war noch immer in der Lage, diesen Hügel zu erklimmen!
    Maya blieb stehen, um Atem zu schöpfen. Um sie herum wogten Scharen von Menschen, gekleidet in den grünen und goldenen Farben der Jahreszeit, fröhlich redeten sie oder sie sangen, je nach Temperament. Sie trugen Körbe mit Opfergaben: Brot, Früchte, Käse und frisches Gemüse aus den Gärten.
    Unten lagen die Häuser, klein wie Spielzeug, dazwischen die alten Wolkenkratzer, die sich vom flachen Gelände unten an der Bucht erhoben. Ein buntes Mosaik. Grün der Hintergrund, durchzogen von Wasseradern und gesprenkelt mit dunklen Teichen und Seen. Die Blocks alter Reihenhäuser bildeten immer noch Straßenzüge, die niemand mehr benutzte. Stattdessen bewegten sich Fahrräder und Elektroautos und gelegentlich ein Pferd durch das Labyrinth der engen Wege, die sich durch das Grün zogen. Über den Hausdächern schwangen Gondeln wie bunt bemalte Eimer, von Hügel zu Hügel, sie bewegten sich zwischen hohen Türmen, an denen sich Windräder drehten. Im Nordosten konnte Maya einen langen Zug sehen, der sich über das untere Deck der Bay-Brücke bewegte. Ah, dachte Maya, das erste Getreide wird zum Central-Markt gebracht.
    Und ganz hinten leuchtete die Golden Gate Brücke aus dem Dunst. Wunderschön, dachte Maya. Seit ihrem ersten Blick auf die City, in jenem Sommer der Liebe, vor mehr als 80 Jahren, war sie in diese Stadt verliebt. Damals, sie war gerade 17 Jahre alt, hatten die Nebel sie entzückt, die Geheimnisse verhüllten oder preisgaben. Die von Menschen wimmelnden Straßen hatten sie erfreut. Sie schienen ständig kostümiert zu sein: Zigeuner, Piraten, Indianer, Hexen, die die Bürgersteige entlang schlenderten und zu den Klängen der Beatles »Love, Love, Love« sangen.
    »Du bist meine ständige Geliebte gewesen«, sagte sie leise. »Eine City, nicht monogam, aber niemals untreu, manchmal etwas aufgedonnert, aber niemals langweilig. Und du bist auch noch nicht vor mir gestorben, wie viele andere.«
    »Love is all you need«. - Liebe ist alles was du brauchst! Sie hörte das Lied in ihrer Erinnerung. »Aber die Beatles führten uns auf eine falsche Fährte«, flüsterte sie ins Leere, in die Luft, die gefüllt war mit den Geistern ihrer toten Freunde. Liebe war aber nicht das einzige, was wir damals brauchten. Wir wollten lieben, frei und ohne Beschränkungen. und dafür mußten wir die Welt erneuern.«
    Seufzend setzte Maya den steilen Aufstieg fort. In Wahrheit ist dies eine verdammt anstrengende Kletterei für eine alte Hexe wie mich, gestand sie sich ein. Ich hätte mir die Mühe ersparen und Madrone bitten sollen, die Schreine zu besuchen.
    Die Schreine der Vier Heiligen Elemente befanden sich in den jeweiligen Himmelsrichtungen. Maya hatte die mühselige Umrundung fast hinter sich. Sie hinterließ Samen seltener Kräuter beim Heiligen Schrein der Erde, Federn der Seevögel und der Hähne beim Heiligen Schrein der Luft. Beim Schrein des Feuers hinterließ sie weißen und schwarzen Salbei sowie Zedernholz, und beim Wasser-Schrein hatte sie ein Glas mit Regenwasser geopfert, das sie vom ersten Sturm des vergangenen Herbstes aufbewahrt hatte.
    Aber Madrone hätte vermutlich gar keine Zeit gehabt. Ich weiß ja wie es ist, murmelte Maya. Wahrscheinlich steckt sie bis zu den Ellenbogen in ihrer Arbeit, froh, wenn sie den Hügel noch in letzter Minute hinaufeilen kann. Auf meine alten Tage werde ich pingelig, dachte sie. Eine
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