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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
Autoren: Michael Crichton
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richteten, ihre Erzeugnisse feuersicher zu machen. Der Verlust von Geld und Dokumenten durch einen Brand war eine erheblich ernstere und drohendere Gefahr als der Verlust durch Diebstahl. In dieser Zeit wurden zahlreiche Patente auf Verfahren erteilt, die darauf hinzielten, Geldschränke mit Hilfe von Eisenmangan, Schamott, Marmorstaub und Gips feuersicher zu machen.
    Wenn ein Dieb vor einem Safe stand, hatte er drei Möglichkeiten. Die erste war, den ganzen Safe zu stehlen, fortzuschaffen und ihn dann irgendwo in aller Ruhe aufzubrechen. Dieses Verfahren verbot sich, wenn der Safe eine bestimmte Größe oder ein bestimmtes Gewicht überschritt. Die Hersteller von Geldschränken verwandten daher große Sorgfalt darauf, möglichst schwere und schwer zu transportierende Safes zu bauen.
    Zweitens konnte ein Dieb einen Spezialbohrer benutzen, der am Schlüsselloch des Safes befestigt wurde und es ermöglichte, ein Loch zu bohren, durch das man den Mechanismus des Schlosses manipulieren und das Schloß öffnen konnte. Dieser Bohrer aber war ein Werkzeug, mit dem nur Spezialisten umgehen konnten. Außerdem machte er Lärm, arbeitete langsam und war nicht immer zuverlässig. Er war nur um teures Geld zu haben und zu unhandlich, um sich ohne weiteres an den »Arbeitsplatz« schaffen zu lassen.
    Die dritte Möglichkeit bestand darin, bis zu dem Geldschrank vorzudringen und dann aufzugeben. Auf diese Weise endeten die weitaus meisten Versuche, einen Safe zu knacken. Zwanzig Jahre später waren Geldschränke für Einbrecher nur noch ein lästiges Ärgernis, aber im Moment stellten sie noch ein schier unüberwindliches Hindernis dar.
    Kombinationsschlösser waren noch nicht erfunden worden. Alle Schlösser wurden mit Schlüsseln geöffnet, und am einfachsten war es, man brachte einen Schlüssel, den man sich zuvor beschafft hatte, mit, wenn man einen Safe knacken wollte. Dies erklärt, warum die Verbrecher des 19. Jahrhunderts sich so oft und so intensiv mit Schlüsseln befaßten. Die Kriminalliteratur der viktorianischen Zeit, ob offizielle Berichte oder Romane, erweckt oft den Eindruck, als seien Schlüssel hier zur fixen Idee geworden.
    Der Schlüssel aber war, wie der meisterliche Geldschranknacker Neddy Sykes es 1848 als Angeklagter vor Gericht ausdrückte, »einfach alles bei einem Bruch: das Problem und seine Lösung«.
    Edward Pierce ging bei der Planung des Eisenbahnraubs also mit Recht von der selbstverständlichen Voraussetzung aus, daß er sich zunächst Duplikate der erforderlichen Schlüssel beschaffen müsse. Und dazu mußte er sich Zugang zu den Originalschlüsseln verschaffen. Es gab zwar bereits eine neue Methode, nach der man wächserne »Rohlinge« in ein Safeschloß hineindrücken konnte, aber dieses Verfahren war unzuverlässig. Deshalb ließ man damals Safes oft unbeaufsichtigt und unbewacht.
    Das wirkliche Augenmerk eines Verbrechers mußte auf die Schlüssel zum Safe gerichtet sein – wo immer sie sich befinden mochten. Nachschlüssel anzufertigen war kein wirkliches Problem: Wachsabdrücke eines Schlüssels ließen sich in wenigen Augenblicken machen. Und jede Räumlichkeit, in der ein Schlüssel verwahrt wurde, konnte verhältnismäßig leicht aufgebrochen werden.
    Genau betrachtet ist ein Schlüssel jedoch ein sehr kleiner Gegenstand, der sich an den unwahrscheinlichsten Stellen verstecken läßt, wenn man ihn nicht gar am Körper trägt.
    Und ein Zimmer der viktorianischen Zeit bot viele Verstecke, wenn man bedenkt, daß schon ein Papierkorb damals mit Stoff bezogen und mit Fransen und Quasten drapiert war.
    Wir vergessen leicht, wie außerordentlich überladen die Zimmer damals waren. Der vorherrschende Geschmack der damaligen Zeit bot zahllose Möglichkeiten, einen Gegenstand zu verstecken. Überdies liebten die Engländer des 19. Jahrhunderts Geheimfächer und verborgene Hohlräume. Um 1850 wurde in einer Anzeige ein Schreibtisch »mit 110 Fächern« angepriesen, »von denen viele höchst kunstvoll vor Entdeckung geschützt sind«. Selbst die reich verzierten Kaminsimse boten Dutzende von Verstecken für einen so kleinen Gegenstand wie einen Schlüssel.
    Folglich war um die Mitte der viktorianischen Zeit eine Information über den Aufbewahrungsort eines Schlüssels fast so wertvoll wie ein Nachschlüssel. Ein Dieb, der einen Wachsabdruck brauchte, konnte in ein Haus einbrechen, wenn er wußte, wo der Schlüssel versteckt war, oder wenn er zumindest wußte, in welchem Raum er lag. Wenn er es nicht
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