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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe
Autoren: Unknown
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schließlich beruhigten. Das Kind war jetzt bereit, auf die Welt zu kommen, und sie war die einzige, die das wußte.
    »Wenn der Schmerz kommt, ist er schlimmer als Messerstiche«, sagte sie. »Ich will sterben. «
    D ann bat sie ihn: »Heb mich hoch«, und als er es tat, sagte sie: »Komm ins Bett«, und er folgte ihr. Sie forderte ihn auf, sich hinter sie zu legen und die Handknöchel gegen ihren Rücken zu drücken.
    »Nicht reiben«, sagte sie mit hauchdünner Stimme, »nur ganz fest drücken. Drück mit der Faust, so fest du kannst.«
    Als der Schmerz nachließ, wollte sie, daß er sie in die Arme nahm und sanft schaukelte. Er drückte sein Gesicht an ihren Nacken und sog ihren verschlafenen Duft tief in sich ein. Sie drängte sich mit dem Rücken an seinen Brustkorb, zog seine Arme um sich und legte seine Hand auf ihre Brust. Es war so gut wie nichts mehr übrig von ihr, kein Rücken, keine Schultern und kein Brustkorb, sie war nur noch Bauch. Sie legte seine Hand darauf, auf die straffe, gespannte Haut, und ineinander verschlungen fielen sie beide in einen ermatteten Schlaf.
    Er wußte nicht mehr, wann er eingeschlafen war, aber als er aufwachte, wollte er, noch im Halbschlaf, ihr automatisch wieder die Faust in den Rücken drücken. Doch seine Hand tastete ins Leere, und als er sich ganz vom Schlaf befreit hatte, fand er sie nicht, und das Bett war naß und kalt. Er stand auf und spülte mit einem ersten Schluck Wasser den Geschmack des Schlafes aus dem Mund und mit dem zweiten Schluck den Durst hinunter, den die trockene Hitze des Holzfeuers verursacht hatte. Er dachte, er würde sie hier im Dunkel rasch entdecken, doch er fand sie nicht.
    Er rief nach ihr, zog die Decke vom Bett und rannte barfuß zur Tür.
    Die Nacht war leuchtend blau und überzog die Welt mit einem Laken schneidenden Winterlichts. Er hörte, daß die Mutter aufgewacht war und nach ihm rief. Die Kiefern im Wald trugen Schneemäntel, und aus den Scheunen und Ställen drang eine seltsame, gelassene Stille. Er rief ihren Namen in die Nacht, und der Klang seiner Stimme verlor sich langsam auf dem Weg zur schneebedeckten Anhöhe.
    »Rachel«, rief er. »Rachel!«
    Er spürte das Stechen der Kälte in seiner Lunge. Sein Herz hämmerte in der Brust, doch sie antwortete nicht. Am Himmel sah er den Pegasus genau im Westen, und der Große Wagen stand aufrecht auf seiner Deichsel. Über sich sah er die Flugsilhouette einer Eule, ihren weit ausholenden Flügelschlag. Er blickte ihr nach in die Richtung, in der sie verschwand.
    Dann sah er sie im schwachen Licht des Mondes, am Ufer des kleinen Bachs. Sie hatte sich zu einer Stelle geschleppt, die nicht gefroren war und über der Nebel aufstieg, wo heißes Wasser aus der Erde sprudelte. Sie zitterte und stöhnte, und er rannte auf sie zu. Als sie ihn kommen sah, stand sie auf, streckte eine Hand vor und rief: »Laß mich sterben«, aber Schmerzensschreie verzerrten ihre Worte. Er rannte weiter auf sie zu, im Schlepptau die Decke, die er vom Bett gezogen hatte. Sie hob abwehrend die Hände, wollte nicht, daß er näher kam, und als er es doch tat, drehte sie sich um und ließ sich in das warme Wasser fallen.
    Er sah ihre Beine weiß schimmern. Er rannte über den gefrorenen Boden bis dicht zu der nebelverhangenen, dampfenden Quelle. Dann richtete sie sich wieder auf, und ihr nasses Hemd glänzte im Mondlicht. Sie setzte einen Fuß in den Strudel, wo der Bach um einen Felsbrocken wirbelte, einen kühlenden Bogen zog und schneller wurde, um schließlich in die Tiefe zu stürzen.
    Hier ließ sie los, was sie festhielt, und er sah ein kleines weißes Bündel, das von der seichten Stelle weg in die Strömung gezogen wurde. Erst eins und dann noch eines, und die beiden tanzten im Wasser wie winzige Kürbisse, das zweite hinter dem ersten.
    Als die Strömung die beiden auf und ab tanzenden Bündel auf den Wasserfall zutrieb, stürzte er sich in das seichte, von der Geburt befleckte Wasser. Er warf sich entschlossen hinein, so daß es hoch aufspritzte, das Wasser schloß sich hinter ihm rasch wieder, und die Strömung nahm ihn mit. Dann stand er auf, rannte ein paar Schritte und tauchte wieder ein, schwamm weiter und packte sie mit den Händen, erst das eine und dann das andere, die winzigen roten Gesichter stumm und verzerrt von dem unvorstellbaren Schrecken, zur Welt gekommen zu sein.
    Als er sie trösten wollte, schien sie nichts von ihm wissen zu wollen. Sie drehte ihm den Rücken zu, und ihre Haltung war
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