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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe
Autoren: Unknown
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eine einzige Frage: Warum? Warum hast du das getan? Warum hast du sie gerettet? Wer hat dir das Recht gegeben, das zu tun?
    Sie sagte: »Ich will dich hassen für das, was du getan hast, will dich genauso hassen wie den, der mir das angetan hat«, doch er gab keine Antwort.
    In den ersten Tagen stellten sich keine Muttergefühle bei ihr ein, aber seine Mutter ließ nicht locker, und schließlich gab Rachel nach und ließ sie an ihren Brüsten saugen. Es waren zwei kleine Jungen, mit feinen, flauschigen Haaren am Rücken und an den Schultern und auf den sel tsam geformten Köpfchen. Ihre winzigen Gesichter sahen aus wie die von alten Männern, und sie trommelten mit den Fäusten in die Luft und schrien aus voller Lunge und ganzem Herzen. Rachel weigerte sich, ihnen Namen zu geben, und auch ihnen war es egal, denn dafür war noch viel Zeit.
    Dann wurde es noch kälter, und der eisige Regen ging in Schnee über, der tagelang liegenblieb. In diesem Jahr schien der Winter hier oben kälter und länger zu sein als jemals zuvor. Wie ein grenzenloses Meer hielten Schnee und Kälte die schlafende Erde umklammert, und die spitzen Kiefern schüttelten sich im johlenden Wind.
    Am Himmel hing eine weiße Sonne, und er sah das verzweifelte Glitzern weit entfernter Sterne, das letzte Aufbäumen erkaltender Gestirne. Draußen vor den kerzenerleuchteten Fenstern lagen die Felder unter ihrer weißen Hülle in tiefem, erwartungsvollem Schweigen.
    In diesen Tagen des schneeverhangenen Dunkels hielt ihn ein eiserner Schlaf im Griff, ein sinnloser, namenloser, friedlicher Schlaf, und erst später merkte er, daß der Strom der Zeit weitergeflossen war, spürte, daß sich sein Innerstes langsam entspannte. Er war einen ersten Tod gestorben und dann einen zweiten und einen dritten. Er w ußte, daß er in diesem Leben noch nicht fertig war mit Tod und Töten.
    Es war die Welt eines Schlafenden, eine überfrorene, stille Welt, dunkel und wunderschön, und er erinnerte sich an ein tiefes Gefühl von Ruhe und Frieden.
    Er erinnerte sich an die Tage, als er auf dem Glanzrappen durch das Tal ritt. Daran, wie ihm das Pferd den Kopf zuwandte, als er die Zügel anzog, an den heißen Atem, der ihm entgegenschlug, an die Bäche von Schweiß auf dem schlanken schwarzen Hals und an die kleinen Schaumblasen vor den bebenden Nüstern.
    Er erinnerte sich an seinen Vater und an die Toten. Daran, daß sich nichts regte im Dunkel dieser Nächte, nur einmal war er von lautem Geschrei aufgewacht und sah Rachel, die erst ein Baby in den Armen wiegte und es stillte und dann das andere, und als sie damit fertig war, legte sie sich neben ihn, drückte ihren Bauch an seinen Rücken und das Gesicht an seinen Nacken.
    Er erinnerte sich, wie sie ihren Arm über seinen Brustkorb schob und wie er mit der Hand sanft ihr Handgelenk umschloß. Schlaf, hatte er gedacht, schlaf noch ein biß c hen weiter.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    ROBERT OLMSTEAD, geboren und aufgewachsen auf einer Farm in New Hampshire, unterrichtet Kreatives Schreiben an einem amerikanischen College, hat aber auch schon als Tellerwäscher, Teppichleger und Englischlehrer gearbeitet, Vieh gezüchtet und eine Baufirma betrieben. Außerdem ist er Autor zahlreicher, von der Literaturkritik hochgelobter Romane, von denen u. a. Spuren von Herzblut, wohin wir auch gehen ( 1994 ) und Geh nicht fort. Eine Erinnerung ( 1997 ) ins Deutsche übersetzt wurden.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    DER GLANZRAPPE von Robert Olmstead ist im Juli als zweihundertdreiundachtzigster Band der ANDEREN BIBLIOTHEK im Eichborn Verlag, Frankfurt a m Main, erschienen. Die Originalausgabe erschien b ei Algonquin Books of Chapel Hill, New York, unter d em Titel: Coal Black Horse.
    Die Übersetzung ist Edith Nerke und Jürgen Bauer z u verdanken. Das Lektorat lag in den Händen von Palma Müller-Scherf.
     
    Die Übersetzer danken Anthony Tranter-Krstev für seine wertvolle Hilfe.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    DIESES BUCH wurde in der Lapture gesetzt und beim Memminger MedienCentrum auf 100 g/ m ₂ holz - u nd säurefreies mattgeglättetes Bücherpapier der Papierfabrik Schleipen gedruckt. Den Einband besorgte die Buchbinderei Lachenmaier, Reutlingen. Typographie und Ausstattung: Christian Ide und Lisa Neuhalfen.
     
    1 .- 6 . Tausend Juli 2008
    Dieses Buch trägt die
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