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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe
Autoren: Unknown
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grinsen, als er sah, wie der Rehbock Angst bekam und das Weite suchte.
    Jetzt war der Grat verwaist bis auf den zerrupften Tierkadaver. Es war Mittag, und der Fels war in gleißendes Licht getaucht, als wäre er ein Feuerstein und die Sonnenstrahlen aus Stahl. Zu gern hätte er den Rotschwanzbussard noch einmal gesehen, wie er fraß und dann losflog, wie er sich mit seinen kräftigen Schwingen durch die Lüfte schraubte, doch er war schon fort.
    Dann entdeckte er durchs Fernglas einen Reiter, den er kannte. Sein Pferd kam in langsamem Schritt heran, und obwohl es nicht der Mann war, den er erwartet hatte, war es doch einer, den er kannte, und erst als er ihn sah , verstand er. Mitten in Robey s Blickfeld blieb der Mann stehen und schaute auf den Tierkadaver.
    »Nur keine Eile«, flüsterte Robey . Er spuckte den Klumpen Brot aus, den er noch im Mund hatte, drückte sich eng an den Felsen und setzte mit ruhiger Entschlossenheit den Gewehrkolben an die Schulter. Er legte den Vorderschaft hinter der Öse des Gewehrriemens auf und zielte über Kimme und Korn, stellte seine Berechnungen dabei instinktiv an.
    Als er schließlich seinen Platz verließ und hinunterging, fand er den Fledderer rücklings auf dem Berggrat liegen, wie vom Faustschlag eines Riesen hingestreckt. Sein Haar war schütter, die Nase gekrümmt. Die Augenpartie war eingefallen, die Haut bleich, und wo er auf dem Boden aufgeschlagen war, bildeten sich gelbe und violette Flecken. Noch im Sterben hatte er einen gierigen, listigen Blick.
    »Wie sieht ’ s aus?« fragte der Mann und preßte die Zähne zusammen, um den Schmerz in seinem Körper zu beherrschen.
    »Kein schöner Anblick«, entgegnete Robey . »Wenn du das meinst.«
    »Du bist ein fieser Schuft«, murmelte der Fledderer.
    »Ich denke, es gibt Leute, die sagen das gleiche über dich.«
    »Ich glaube, ich habe dich schon mal nach deinem Namen gefragt?«
    » Robey Childs«, antwortete er.
    »Ich sag ’ s ihnen, wenn ich ankomme.«
    »Sie werden ’ s wissen wollen.«
    »Gott, tut das weh«, sagte der Fledderer. Er deutete n icht auf die Stelle, an der es weh tat, aber es war klar, daß er von dem Loch in seiner Brust sprach.
    »Hättest besser aufpassen sollen«, sagte Robey .
    Aus seiner Nase strömte Blut, und der entsetzte Mann schien nicht recht zu verstehen, was ihm geschehen war. Er hob die rechte Hand vors Gesicht, als wollte er seinen getrübten Blick wegwischen, doch dann ließ er den Arm wieder sinken.
    »Wo ist mein Pferd?« fragte er.
    »Weggelaufen.«
    »Soll mir wohl eine Lehre sein«, sagte er müde und wiederholte Robey s Namen. » Robey Childs.«
    »Was für eine Lehre denn?« fragte Robey , aber der Mann war schon tot und konnte nicht mehr antworten.
    Er schnalzte mit der Zunge und sah hinauf zum Himmel.
    Was passiert ist, ist passiert, dachte er, und was passieren wird, wird passieren, und wenn es passierte, würde er froh darüber sein, denn dann konnte er den nächsten Schritt tun.
    Das Laub verfärbte sich jeden Tag mehr, wurde rot, orange und gelb. Staubbedecktes Wasser bahnte sich unter schwarzen Schatten seinen Weg, und die trockenen Maishülsen schüttelten sich in den Brisen, die den Berg umspielten. Die heißen, herrlichen Sommertage waren vorbei. Bald würde der Wind zunehmen, der prasselnde Regen sich in Schnee verwandeln und die Berge unpassierbar machen, und erst dann würde er in der Abgeschiedenheit zur Ruhe kommen.
    Er blieb noch eine Weile neben dem toten Fledderer stehen. Warum, wußte er nicht, aber er spürte, er mußte e s tun, ehe er ihm die Waffen und alles, was einen Wert besaß, wegnahm und ihn über den Grat hinabstieß. Dann würde er das entlaufene Pferd einfangen und nach Hause gehen.
    »War es der, auf den du gewartet hast«, fragte die Mutter spät in der Nacht, als sie draußen saßen, zusammengekauert zum Schutz gegen die Kälte.
    »Nein, der war es nicht.«
    »Also jemand anders«, sagte sie.
    »Ja, Mutter.«
    »Wie viele sind es noch?«
    »Nur einer«, sagte er. »Aber das habe ich auch vor dem da schon gedacht.«
    »Ich hätte es bei den Hunden belassen sollen«, seufzte sie. »Die werden wenigstens in einem Jahr groß.«
    Wenn ihre Stimme einen ironischen Unterton hatte, so konnte Robey ihn nicht erkennen.
    ALS DIE ZEIT DES WARTENS a uf den nächsten, der kommen würde, zu Ende ging, war es Monate später, und er saß auf dem Rücken seines Rappen. Er ritt die steinige Copperhead Road hinab. Eine Eisdecke hatte das träge Wasser überzogen,
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