Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe
Autoren: Unknown
Vom Netzwerk:
und über den schattigen Boden zogen sich Streifen von Schnee.
    Frierend und müde war er von seinem heutigen Beobachtungsposten herabgestiegen, einem Vorsprung, der entstanden sein mußte, als sich die Felsen hier zusammengefunden hatten, zu einer Zeit, in der die Felsen noch nicht starr und empfindungslos gewesen waren, in der sie wie urzeitliche Pilger Rast gemacht hatten, erschöpft von der schweren Reise, zusammengesackt und ineinander verhakt. Unter ihm lag der alles verhüllende Schnee, und über ihm spannte sich das winterliche Universum, und immer, wenn er hier stand, konnte er dem Verlangen nicht widerstehen, die Hände auszustrecken, um es zu berühren.
    Die Sonne war am Himmel verschwunden, war nicht mehr zu sehen in dem tiefen Einschnitt, durch den er ritt. Tagelang schon war das so, als könnte sich die Sonne in diesem Winter nicht mehr aus der Umklammerung des Dunkels lösen. Es war kalt und frostig, und die schwarzen Felswände waren mit gefrorenem Wasser überzogen.
    Bislang war der Winter, wie er ihn sich gewünscht hatte, anhaltende Kälte mit Eis und Schnee, und schon a m Nachmittag wurde es dunkel, und man war nie müde genug, um die lange Dunkelheit durchschlafen zu können. Es gab nichts als den langen Winter und den endlosen immergrünen Wald, der sich am Horizont verlor. Die Kühe im Stall, die gemolken und gefüttert werden mußten, und das Warten auf Rachel, die sich vor seinen Augen von Tag zu Tag veränderte, jetzt, da ihre Zeit unmittelbar bevorstand.
    In den Monaten der Schwangerschaft war sie ihm gegenüber meist verschlossen gewesen, düster, wütend und unglücklich, und doch brauchte sie seine Nähe und mußte stets wissen, wo er war. Sie erzählte ihm von dem seltsamen Gefühl, als sich die Rippen spreizten, um Platz für den Bauch zu schaffen. Von dem Schmerz, der ihren Körper durchzuckte. Von den zarten Knochen, die sich in ihr dehnten. Von den Schwächeanfällen, von den Geistern, die sie quälten, und von ihren Sünden. Manchmal schien sie nicht mehr zu wissen, wo sie war oder wie sie hierher gekommen war oder welcher Wochentag war, und wenn sie es wußte, war es ihr egal. Er hatte wieder erfahren, was Angst ist, aber nicht Angst um sich selbst. Nun ging es um ihr Leben, das ihm so sehr ans Herz gewachsen war.
    Letzte Nacht hatte sie ihm mit tränenerstickter Stimme gesagt, sie sei nun bereit zum Sterben und wolle es auch tun. Wenn sie nicht zum Anfang zurückkehren konnte, wollte sie Schluß mit diesem Leben machen und noch einmal geboren werden. Ein Schauder durchfuhr seine Knochen.
    PLÖTZLICH SCHNAUBTE DER GLANZRAPPE, warf den Kopf hoch und scharrte mit dem Huf. Robey hatte nichts Auffälliges bemerkt, doch er zog sofort das Gewehr aus der Satteltasche, verließ den Weg und duckte sich hinter ein dichtes Gestrüpp.
    »Das könnte für jemanden ein schlimmer Tag werden«, flüsterte er dem Pferd zu, das reglos dastand. Dann hörte er den schneegedämpften Galopp eines sich nähernden Reiters. Er wußte nicht, wie es ausgehen würde, und in diesem Augenblick war es ihm auch egal. Er wußte, er würde bekommen, worauf er gewartet hatte. Jetzt würde er Ruhe finden, so oder so.
    Er schnalzte mit der Zunge, und der pechschwarze Hengst stieg hoch und stürmte zurück auf den Weg. Als er die Zügel fest anzog, drehte sich das Pferd einmal um die eigene Achse, vollführte im Sprung eine zweite Umdrehung und blieb quer zum Weg stehen. Er hielt den Hengst in dieser Position, so daß sie den Weg versperrten, und blieb, das Gewehr auf den Schoß gelegt, im Sattel sitzen.
    Der Reiter, der ihm entgegenkam, ritt auf einer kleinen Fuchsstute mit weißer Mähne und weißen Fesseln. Hier kam das Ende seiner langen Suche, und es kam schneller, als er erwartet hatte. Der Mann hielt erst an, als sich die Fuchsstute auf gleicher Höhe mit dem pechschwarzen Hengst befand.
    Außer einem milden Erstaunen war in den Augen des Mannes nichts zu erkennen, aber sein Gesicht erinnerte Robey an die Knochenberge auf dem Schlachtfeld, von dem er vor so vielen Monaten weggeritten war und wo er den Vater tot zurückgelassen hatte, begraben unter einem Baum. Das Gesicht erinnerte ihn an die Nacht in dem ausgebrannten Haus und an Rachel und die blinde Frau und daran, wie ihn der Gänsemann angeschossen hatte und wie er sich den Kopf mit den zerrissenen Kleidern der ermordeten Frau verband.
    »Ich kenne dich«, sagte der andere und schien zuerst erfreut über diese unerwartete Begegnung. »Ich habe dich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher