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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe
Autoren: Unknown
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Detonationen und Explosionen stammten, doch später sollte er etwas über das Phänomen des akustischen Schattens erfahren, wie sich Schall ausbreitet, der auf einem weit entfernten Schlachtfeld erzeugt wird. Aber damals wußte er noch nichts darüber und dachte, da unter ihm s ei eine Schlacht im Gang, und er fühlte sich davon angezogen, fühlte sich dort hingerufen, und das beunruhigte ihn.
    Wen er nicht erwartet hatte auf dem Weg hier herauf, war der zweite Fledderer, der Bruder des einen, den er mit einem Kopfschuß getötet hatte. An dem Morgen, als er ihn näher kommen sah, war es so still, als wäre bereits ein Mord geschehen.
    Robey lag in einer Felsmulde, die der Wind blank gescheuert hatte, hoch oben am Südhang des Bergs. Er hatte sich in eine Decke gewickelt und die Wange auf die gefalteten Hände gelegt. In der Luft hing der Duft der knorrigen Wacholderbüsche. Das Gewehr lag neben ihm.
    Es war Herbstwetter und gerade Mittag geworden. Am Morgen hatte er damit begonnen, die Futterplätze mit getrocknetem Mais zu füllen, und diese Arbeit wollte er am Nachmittag zu Ende bringen. Er hatte seinen Kaffee getrunken, aß gerade das Sandwich mit Schweinefleisch, das er sich als Proviant mitgenommen hatte, und leckte sich das Fett von den Fingern. Er machte eine Pause, richtete die Gedanken in die Unendlichkeit und überlegte, wie der Felsbrocken zu solch einer Mulde gekommen war. Oder war es gar nicht der Stein selbst, sondern die Kraft des Windes, der den Felsen ganz langsam an dieser Stelle abgeschabt hatte? Oder ein Relikt aus der Eiszeit, von der sein Vater erzählt hatte?
    Er beobachtete den Weg, der sich aus dem breiten Tal den Berg hinaufwand, die einzige Möglichkeit, zu seinem Zuhause zu gelangen. Er lag hier oben an einem kleinen, geschützten Platz, der einen steilen Blick nach unten ermöglichte, bis zu einem gezackten Grat zweihundert Meter entfernt, der abrupt in eine undurchdringliche, von Lorbeergehölz überwucherte Schlucht abfiel.
    Hier hatte er schon oft Rothirsche erlegt, die den Grat überquerten, und der Kitzel daran war, das Wild so rechtzeitig zu erschießen, daß es nicht mehr über den Grat kam und hinab ins Dickicht stürzen konnte. Sein Vater hatte ihn immer gewarnt, wenn du da einen Hirsch rausholst, wirst du es so bereuen, daß du es nie wieder tust.
    Dieser Tag war irgendwie anders, auch wenn er es nicht beschreiben konnte. Rachel hatte nicht geschlafen, und er hatte die ganze Nacht neben ihr gesessen, während sie ein stilles Zwiegespräch mit dem neuen Wesen in ihr zu halten schien. Auch er fühlte sich anders an diesem Morgen, als er das Gewehr lud und den Revolver scharf machte, die Kanne mit Kaffee füllte und sich das Sandwich für später zubereitete. Er wußte nicht, warum, aber er spürte es in den Armen, im Rücken und vor allem in den Schulterblättern.
    Er hob das Messingfernrohr noch einmal an die Augen. An jedem anderen Tag wäre er jetzt schon wieder bei der Arbeit, aber heute blieb er noch, um eine spannende Begegnung auf dem gezackten Bergkamm zu beobachten.
    Beim letzten Blick durch das Fernrohr hatte er einen jungen Rehbock mit Knopfgeweih gesehen, und nicht weit von ihm einen Rotschwanzbussard, der auf dem Brustkorb eines verendeten Hirschs hockte. Der Hirsch war alt und mußte in der Nacht verendet sein, denn gestern war er noch nicht da gewesen. Es war komisch, daß der Hirsch keinen geschützteren Platz zum Sterben gefunden hatte, sondern hier auf dem Berggrat liegengeblieben war. Es ist n icht ungewöhnlich, daß Tiere einen Fehler machen. Oft berechnen sie den Sprung falsch und reißen sich den Bauch auf oder brechen sich die Beine. Tiere werden geboren und sie werden alt, genau wie Menschen. Manche sind klug und manche dumm. Sie machen Fehler. Sie haben Unfälle. Sie leben und sie sterben.
    Aber das hier war irgendwie anders. Er kam vor lauter Grübeln ins Schwitzen und blieb noch dort, obwohl es längst Zeit gewesen wäre, wieder aufs Feld zurückzugehen. Er wußte nicht, warum er wußte, was er wußte. Er wußte nur, daß er weiter tun mußte, was er gerade tat.
    Und so sah er weiter durchs Fernglas.
    Der Bussard rupfte an den Innereien und schlang sie hinunter, als wären es zähe Würmer. Aus seiner Perspektive sah es aus, als stünde der Bock direkt neben dem Bussard und nicht ein gutes Stück davon entfernt. Als ein Windstoß kam, hob der Vogel die Flügel und spreizte sie wie ein Segel im Wind. Er stieß einen kehligen Schrei aus, und Robey mußte
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