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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe
Autoren: Unknown
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verkrüppelt.
    Sie weinte, bis ihre Schultern heftig zuckten und sie keine Luft mehr bekam. Aber als er sie in den Arm nehmen wollte, stieß sie ihn weg. Er wußte, sie wollte jetzt für sich sein, und doch nicht ganz allein. Er setzte sich wieder, faltete die Hände und wartete ab.
    Dann war es vorbei, sie hatte sich wieder im Griff und rieb sich mit dem Handrücken das Gesicht trocken. Es dauerte lange, ehe sie etwas sagte.
    »Weißt du, daß sie ein Kind bekommt?«
    »Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf, »das hab ich nicht gewußt.«
    »Ist es von dir?«
    »Wenn sie es so will.«
    In dieser Nacht blieben sie noch lange unter den Sternen sitzen, ignorierten die Müdigkeit, wollten nach so langer Zeit die Gesellschaft des anderen nicht missen. Sie sahen auf den fernen Lichtschein, der von den Siedlern herüberflackerte. Er überlegte, woher sie wohl wußte, daß Rachel ein Kind bekam, und dachte zurück an die Tage unterwegs, und dann kamen ihm Zweifel. Hatte womöglich sie die Scheune in Brand gesteckt? Sie war ihm ein Rätsel, und die Nachricht, daß sie ein Kind bekam, half ihm auch nicht weiter. Aber wenn sie versucht hatte, sich selbst anzuzünden, war das jetzt nicht egal?
    Sie lauschten gemeinsam den Rufen der Nachtvögel und den Geräuschen der grasenden Tiere. Robey s Rückkehr war kein vollkommenes, freudiges Ereignis, doch sie nahmen dankbar an, was ihnen blieb, und sahen gemeinsam zu, wie der Mond hinter dem Horizont verschwand.
    DANN WURDE DAS WETTER KÜHLER, und herbstliche Stille legte sich über das Land. Der Himmel war hoch und rauchfarben, das Viehfutter war am Morgen von Rauhreif bedeckt und dampfte, wenn man den Haufen aufbrach. Die Sonne stand tief, und ihr Licht wärmte nicht mehr, war hell und kalt. Meilen entfernt, wo jemand ein Stück Land durch Brandrodung urbar machte, sah man weißen Rauch aufsteigen. Wie angenehm der Sommer auch gewesen war, wie üppig die Pflanzen gediehen und die Tiere gewachsen waren, jetzt kamen die Vorboten der dunkleren Tage.
    Er war nicht erstaunt darüber, wie die Mutter den Sommer über getrauert hatte, wie sie Mal ums Mal ihren Schmerz durchlebte. Frühmorgens, mittags und auch nach dem Abendessen erhob sie sich vom Eßtisch und verschwand verloren und mit gebrochenem Herzen, lief hinaus in die Felder, in den Wald, in die Dunkelheit. Er hörte sie in der Nacht aufstehen und folgte ihr in gebührendem Abstand, und immer war ihr seine aufmerksame Nähe ein Trost. Er hätte ihr gern etwas von ihrem Schmerz genommen, wenn er gekonnt hätte. Es war, als würde sie die Trauer mit der Nahrung aufnehmen, ihre Beine wurden schwer, und die Kraft in den Armen und den Schultern ließ nach, und ganz langsam und fast unbemerkt wurde die Mutter ein anderer Mensch.
    Im Lauf des Sommers begann Rachels Bauch zu wachsen, und der Rest ihres Körpers schwand zusehends, als würde er verbraucht und aufgezehrt von dem neuen Leben, das in ihr entstand, und wenn das Kind zur Welt kam, würde von ihr selbst nichts mehr übrig sein.
    Die Mutter sorgte dafür, daß Rachel immer etwas zu tun hatte, munterte sie auf, wenn sie Trübsal blies, hinderte sie mit ihrer schieren Willenskraft daran, in Schwermut zu versinken.
    Er wußte nicht, was zwischen den beiden Frauen vor sich ging. Er wußte, es war kein friedliches Miteinander, sondern ein distanziertes, allem Anschein nach von Respekt geprägtes Verhältnis, und manchmal schien es, als teilten die beiden einen großen Kummer, die eine um das Verlorene, die andere um das Werdende.
    Jeden Tag ging er allein hinaus auf die Felder, nicht nur zum Arbeiten, sondern auch, um zu sehen, wer die Copperhead Road heraufkam. Zuerst hatte die Mutter ihn dazu gedrängt, bei seiner täglichen Runde die Hunde mitzunehmen, aber er wollte ihr warnendes Gebell nicht, nicht für sich selbst und auch nicht für den, den er erwartete. Daß er kommen würde, wußte er von dem Moment an, als er ihm zum ersten Mal ins Gesicht gesehen hatte. Er hatte stets das Gewehr dabei, hatte schon vor langem beschlossen, nie mehr darauf zu warten, bis irgend jemand ihm etwas zurief, ihm einen Befehl erteilte, ihn hierhin und dorthin schickte.
    An manchen Tagen hörte er, wie vom anderen Ufer des Twelve Mile Creek ein Donnergrollen den Berg heraufschallte, die ganze Copperhead Road entlang. Das Grollen kam aus den dunklen Wolken im Osten, es hielt den ganzen Tag an, und selbst als es aufgehört hatte, folgte noch Echo auf Echo. Damals verstand er nicht, woher all die
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