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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe
Autoren: Unknown
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zu verstehen schien, sagte sie noch einmal mit Entschiedenheit in der Stimme: »Thomas Jackson ist tot.«
    »Es ist vorbei«, sagte sie, ohne ihn anzuschauen oder gar seinen Blick zu suchen; sie schien etwas weit in der Ferne Liegendes zu fixieren. Ihre Stimme war tonlos, verriet nichts von dem, was in ihr vorging. Ihre Gesichtszüge waren beherrscht wie bei einem Menschen, dem etwas Unwiderrufliches zugestoßen war. Jacksons Tod war eine unabänderliche Tatsache, mehr gab es dazu nicht zu sagen.
    Er umfaßte sein knochiges Handgelenk und scharrte mit den Schuhen, als würde ihm das helfen zu begreifen. Er wartete geduldig, weil er wußte, wenn sie soweit war, würde sie es ihm erklären.
    »Thomas Jackson ist tot«, wiederholte sie schließlich. »Es hat keinen Sinn mehr. «
    S ie hielt inne und suchte nach Worten. »Es war ein Fehler, und wir haben lange gebraucht, um das zu verstehen. Aber es war ein Fehler. Reite los und finde deinen Vater, hol ihn zurück nach Haus.«
     
    Ihre Worte drangen wie durch den Wind der Zeiten an sein Ohr, Worte einer alten Mutter, einer alten Frau.
    »Wo soll ich ihn suchen?« wollte er wissen, zog die Schultern zurück und nahm Haltung an.
    »Reite nach Süden«, sagte sie. »Dann nach Osten ins Tal hinunter und flußabwärts weiter nach Norden.«
    Sie hatte ihm eine leichte, enganliegende Offiziersjacke aus Leinen genäht, mit den Tressen eines Korporals und Knöpfen aus gebleichten Hühnerknochen. Sie sagte, er solle unbedingt noch in dieser Nacht losreiten und nicht herumtrödeln, damit er den Vater bis spätestens Juli fand.
    »Bis Juli mußt du ihn gefunden haben«, sagte sie.
    Er dürfe auf keinen Fall sein Pferd verlieren, und wenn er jemandem begegnete, solle er sagen, er sei ein Kurier, ganz hastig solle er das sagen, als müßte er dringend weiter. Ansonsten solle er den Mund halten und die Ohren aufsperren, wie jetzt auch. So würde er alles erfahren, was er wissen mußte. Dann sagte sie, daß es Männer gebe, welche die Erde, das Wasser und die Luft mit Schrecken erfüllten, und er würde diesen Männern auf seiner Reise begegnen, und sein Vater sei einer von ihnen. Sie hielt rasch inne, musterte ihn und sagte, ohne daß es wie ein Urteil klang, er werde vielleicht eines Tages auch einer von ihnen sein.
    »Gib acht, von wem du Hilfe annimmst und von wem nicht«, riet sie ihm. Dann fügte sie mit kaltem Blick hinzu, aber wenn er ganz sicher gehen wolle, dürfe er von niemandem Hilfe annehmen.
    »Trau niemandem«, sagte sie. »Keinem Mann, keiner Frau und keinem Kind.«
    Die Jacke war auf einer Seite graubraun, mit Eisensulfat und Walnußschalen gefärbt. Als sie sie wendete, war sie blau und trug ähnliche Rangabzeichen. Sie sagte, damit solle er sich immer auf die richtige Seite schlagen und keiner von beiden trauen.
    »Besorg dir so bald wie möglich ein Schießeisen, am besten mehrere«, sagte sie. »Und gib acht, daß sie immer geladen sind. Wenn du auf jemanden schießen mußt, ziel auf den Rumpf, und wenn deine Pistole leer ist, wirf sie weg, und nimm die von dem, den du erschossen hast. Wenn du denkst, daß jemand auf dich schießen will, überleg nicht lang: du mußt als erster schießen.«
    Ihre Stimme wurde nicht lauter und verriet keine Panik. Sie gab ihm ruhig und bestimmt ihre Anweisungen, als wäre endlich der Augenblick dafür gekommen und sie spräche jetzt nur Worte aus, die sie sich schon vor langer Zeit zurechtgelegt hatte.
    »Jawohl, Mutter, als erster schießen«, wiederholte er langsam ihre letzten Worte.
    Die Hunde zitterten und winselten und klackten mit den Kiefern.
    »Denk daran, wenn man der Gefahr ins Auge schaut, zieht sie an einem vorbei«, sagte sie und legte ihm ihre Hände auf die Schultern.
    Er dachte auch an das, was sie ihm gesagt hatte, als er zwölf war. Er sei nun alt genug, um das Land zu bestellen, aber noch nicht alt genug, um dafür zu sterben. Um für sein Land zu sterben, müsse er mindestens vierzehn sein. Jetzt war er vierzehn.
    Nachdem sie ihm ihre Anweisungen gegeben hatte, schöpfte er einen Eimer eiskaltes Wasser aus dem Brunnen und wusch sich damit den Oberkörper. Dann rieb er sich mit einem Handtuch ab und faltete ein sauberes Leinenhemd auseinander. Er zog eine schwarze Baumwollhose und die festen Lederschuhe seines Vaters an, die mit den flachen Absätzen, und schlüpfte in seine Offiziers j acke. Die Ärmel reichten nicht bis an seine Handgelenke, aber die Hosenbeine bildeten eine Ziehharmonika auf den Schuhen. Er
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