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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe
Autoren: Unknown
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Himmel und packte einen flackernden roten Stern. Der Stern war warm und pulsierte in seiner Hand wie das Herz eines Froschs oder eines Singvogels. Er streichelte den Stern, ließ ihn über seine Handfläche gleiten und führte ihn zum Mund, und er schmeckte nach Zucker, als er ihn hinunterschluckte.
     
     
     
     
     
     
    AM NÄCHSTEN MORGEN
    g ab es keinen Sonnenaufgang. Der Himmel im Osten rötete sich nicht, nur das Dunkel verlor an Intensität, wurde nach und nach von Schwarz zu Grau. Die frühen Morgenstunden waren erfüllt vom Rufkonzert der Waldfrösche an den Teichufern. Ein pfeilförmiger Stärlings s chwarm auf dem Weg nach Norden zog über den Nachthimmel. Von den Felsvorsprüngen tropfte eisiges Wasser. Irgendwo tief im Schutz des Lorbeergestrüpps warnte ein Hirsch seine Herde.
    Die tiefen Schluchten, durch die er jetzt ritt, erschienen mit ihren engen, hoch aufragenden Wänden wie Gräber, die sich bald schließen würden. Die Wege waren feucht und die Steine glitschig. Mehr als einmal rutschte die kräftige Stute ab, und er drückte die Beine fest gegen ihren Rumpf, um ihr ein wenig Sicherheit zu geben. Doch das verängstigte Pferd blieb steifbeinig stehen und tat keinen Schritt mehr. Als er geduldig im Sattel sitzen blieb und ihr beruhigende Worte in die zuckenden Ohren flüsterte, ging sie nach einer Weile schnaubend weiter.
    Der Weg führte Meile um Meile hinab in üppiges Frühlingsgrün. Er ließ die Füße aus den Steigbügeln gleiten und lehnte sich weit zurück, den Kopf über der Kruppe des Tiers. Er hätte sich nicht vorstellen können, diesen Weg während der Schneeschmelze im Dunkeln herunterzukommen, aber in dieser Nacht hatte er genau das getan.
    Als er am Morgen die Brücke erreichte, fühlte er sich, als käme er von einer langen Reise zurück, die außerhalb der Welt begonnen hatte. Nur noch eine verschwommene Erinnerung an seine Mutter und sein Zuhause begleitete ihn, und er war mit einem Mal besorgt, daß sie völlig verschwinden würde, sobald er die Brücke überschritten hätte. Er drehte sich im Sattel um und sah zurück zu dem Ort, von dem er kam, zornig darüber, wie weit entfernt, wie trutzig und abgeschieden er war. Wie konnten eine Nacht und ein paar Meilen plötzlich so lang sein? Wie konnte ein Ort so eigenartig und selbstherrlich sein, daß er einem die Erinnerung an ihn verweigerte, sobald man ihn verlassen hatte?
    Seine Augen waren feucht, und in seiner Brust pochte es, ohne daß er wußte, warum. Er rieb seine brennenden Augen und schickte einen grundlosen Fluch in die Morgendämmerung, den Fluch eines Jungen, dem eine Aufgabe aufgetragen wurde. Auch wenn er diese Aufgabe insgeheim sogar erledigen will, flucht er doch unwillkürlich über diese Fremdbestimmung. War er zuvor Herr seiner Zeit gewesen, so gehörte sie ihm jetzt nicht mehr. Er wurde in die Welt hinausgeschickt, mit gerade einmal vierzehn Jahren und ohne wirklich zu wissen, wie es in der Welt zuging.
    Als er über die Brücke ritt, öffnete sich das Land vor ihm wie ein flaches Band, das auf einem befestigten Weg ausgerollt wurde. Die Luft wurde dichter und war erfüllt vom Geruch verrottenden Laubs und aufbrechender Knospen. Wasserrauschen drang an seine Ohren, wurde schwächer und dann wieder stärker, als sich der Twelve Mile Creek nach einem Knick in den aufgewühlten Canaan River ergoß. Er ritt weiter nach Südosten, dem Tosen des Frühjahrshochwassers entgegen, das die Steine in dem engen Flußbett gegeneinanderstoßen ließ.
    Er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und nichts gegessen und fühlte sich schwach und zerschlagen. Die Landschaft wurde immer breiter, und das stämmige Pferd wurde müde, schnaufte schwer und zitterte. Der steinige Weg wurde für die unbeschlagenen Hufe immer schmerzhafter. Dann stolperte die Stute, verharrte und wollte nicht mehr weiter. Sie schnaubte und warf den Kopf zurück, schleuderte Schaum vom Maul in die Luft. Er stieß ihr die Hacken in die Seite und gab ihr einen Klaps auf den Rumpf, doch sie bewegte sich nicht. Plötzlich legte sie den Kopf schräg, richtete die Ohren ruckartig nach vorn und zog sie wieder zurück.
    Dann hörte er, wonach sie lauschte – den hellen Klang eines Hammers auf einem Amboß. Vor ihnen befand sich ein kleines Dorf, auf dem Weg zu den Greenbrier Mountains gelegen, mit dem Krämerladen des alten Morphew. Robey drängte die Stute nicht weiter, sondern wartete ab, bis sich ihre zitternden Muskeln entspannt hatten und das Fell wieder
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