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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe
Autoren: Unknown
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vorherzusagen, daß ein Mann im Krieg stirbt.«
    Morphew forderte ihn mit einem Nicken in Richtung Keksdose auf, sich weiter zu bedienen, und erzählte ihm, was er von den Kämpfen gehört hatte. Allerdings seien seine Informationen unzuverlässig, meinte er, und auch schon eine Woche alt. Er steckte den Finger ins Spundloch des Melassefäßchens und leckte ihn anschließend ab.
    »Und wo finde ich jetzt die Armee?«
    »Welche?«
    »Wie viele gibt ’ s denn?« fragte Robey . Er spürte, wie er in dem behaglich warmen Raum immer schwerer wurde. Er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, und das Ziehen i n seinem Bauch kam wohl ebensosehr von der Müdigkeit wie vom Hunger. Wie von Gewichten gezogen ließ er sich tiefer in den gepolsterten Lehnstuhl sinken.
    »Es gibt mehrere«, erklärte Morphew. »Mein letzter Stand ist, daß sie unten im Tal waren und dann direkt am Rappahannock. Da liegt ein Stapel Zeitungen. Du kannst alles nachlesen, aber verlaß dich nicht drauf. Wenn du mich fragst, stammt das alles aus zweiter, wenn nicht aus dritter Hand.«
    »Meine Mutter hat gesagt, ich soll nach Süden reiten und dann nach Osten ins Tal hinunter und weiter fluß a bwärts.«
    »Nicht daß ich deiner Mutter widersprechen wollte, aber so kommst du nicht zum Rappahannock.«
    »Und wo ist der Rappahannock? «
    E r hörte sich selbst diese Frage stellen. Das mit dem Fluß verstand er. Sein Vater hatte ihm gesagt, daß man einen Fluß immer am anderen Ufer verteidigen soll, nicht am eigenen, und wenn es doch mal nötig ist, dann ein Stück vom Ufer entfernt, nie direkt am Wasser.
    »Reit nach Osten«, sagte Morphew und deutete mit der Pfeife so bestimmt dorthin, daß Robey den Eindruck hatte, es müsse ein Ort gleich draußen vor Morphews Laden sein. Gar nicht so weit, dachte er.
    »Mutter hat gesagt, daß sie ihn schlagen wird und für immer hassen, wenn er in den Krieg zieht, aber er ist trotzdem gegangen.«
    »Was einer im Blut hat, kannst du nicht aus ihm rausprügeln«, meinte Morphew.
    »Er hat gesagt, es steckt auch in meinem Blut.«
    »Ja, keiner treibt sich so gern in der Welt herum wie er.«
    »Sie sollten sich einen neuen Spundzapfen für das Melassefaß schnitzen«, sagte Robey nach einer Gesprächspause, während sein Kinn langsam auf die Brust sank.
    Wie lange er in dem Lehnstuhl geschlafen hatte, wußte er nicht. Es war ein kurzer traumloser Schlaf, der so schnell endete, wie er begann. Er konnte das Klingen des Hammers hören und den süßen Duft der Melasse riechen. Der Handstandjunge starrte ihn verkehrt herum an, die Unterschenkel nach hinten abgewinkelt.
    Der alte Morphew saß, auf die Unterarme gestützt, noch immer über seinem Kassenbuch. Noch einmal sprach Robey seinen Namen aus, als wäre er eben erst angekommen.
    »Du läufst jetzt aber nicht weg, um zu kämpfen, oder?« fragte Morphew mit ernster Miene.
    »Nein, Sir«, sagte er und spürte sogleich den Drang, sich auf den Weg zu machen. Er wußte, er hätte hier nicht haltmachen dürfen. Er hatte seinen Ritt gerade erst begonnen, und schon machte er hier in Morphews Laden Rast. Es stand ihm nicht an, den Rat der Mutter in Zweifel zu ziehen, und es war auch nicht an ihm, die tieferen Gründe für ihre Voraussagungen zu bestätigen oder sie in Frage zu stellen.
    »Du belügst mich doch nicht?« fragte Morphew.
    »Nein, Sir.«
    »Na, es wird schon stimmen. «
    E r schob einen Beutel Tabak über den Tisch. »Der ist für deinen Vater. Er wird sich sicher drüber freuen, und über das da auch. «
    M it diesen Worten gab er ihm noch einen Beutel voll Kaffeebohnen. »Bezahlen kann er, wenn er zurückkommt.«
    »Ich muß jetzt los«, sagte Robey und durchquerte langsam den Laden. »Ich hab noch einen weiten Weg vor mir und will bald wieder zurück sein.«
    »Viel Glück«, wünschte ihm Morphew und stapfte ihm nach auf die Veranda, den Handstandjungen im Gefolge. Die Sonne stand schon recht hoch über dem Horizont, so lange hatte er geschlafen. Die stämmige Stute erwartete ihn schweißnaß und ließ kläglich den Kopf hängen. Am Wegrand war ein alter Karren abgestellt, der Fuhrmann brachte dem Ochsengespann gerade einen Eimer Wasser. Auf der Ladefläche war mit einem Seil ein zugenagelter Sarg aus weißgebleichtem Pappelholz festgebunden.
    »Wen hast du da?« rief Morphew von der Veranda hinunter.
    »Den kleinen Skagg«, antwortete der Fuhrmann, nachdem er sich suchend umgeschaut hatte, woher die Frage kam.
    »Der hat doch hier in der Nähe gelebt«, sagte
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