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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt
Autoren: Michael Amon
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kompliziert.
    Wir tranken auf die weißen Westen und dass sie eines Tages, zu heiß gewaschen, zusammenschrumpften, verfilzten und untragbar wurden.
    Wir tranken auf die kollektive Unschuldsvermutung, und darauf, dass sie eines Tages hoffentlich der Wahrheit weichen würde. Es gab so viele Gründe, auf etwas zu trinken. Zum Glück ging uns der Enzian aus.
    „Habe ich Grappa, erstklassig, wie Zähneputzen!“, sagte Giuseppe. Also nahmen wir auch noch den Grappa. Chiaras Kopf auf meiner Schulter wurde immer schwerer. Wir zählten nicht mit. Aber die Flasche leerte sich zügig. Wir leerten sie zügig.
    Das kleine Handgemenge hatten wir gewonnen, aber die große Schlacht war vorerst verloren. Die Typen würden nicht aufhören. Und wir schon gar nicht. Eines Tages würden sie für die Unschuldsvermutung zehn Jahre aufgebrummt bekommen, und für die weißen Westen den Rest auf lebenslänglich. Man ist nicht rachsüchtig, keineswegs. Aber wir, wir sind die Guten. Warum sind immer wir die Verlierer? Und fast nie die Gewinner? Wahrscheinlich waren wir zu blöd und zu langsam. Aber so waren wir nun einmal.
    „Eines Tages“, sagte Pirchmoser und hob das letzte Glas Grappa. Wir alle wussten, was er meinte, und tranken auf diesen Tag.
    Ganz leise begann Chiara zu singen, und wir alle stimmten mit ein:
    „Eines Morgens in aller Frühe,
    bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao.
    Eines Morgens in aller Frühe
    trafen wir auf unsern Feind.
    Eines Morgens in aller Frühe
    trafen wir auf unsern Feind.“
    Wir leerten die Gläser, unsere Stimmen verebbten. Es war Zeit, nach Hause zu gehen. Der neue Tag würde keine Antwort bringen. Aber eines Tages würden die Antworten sich nicht mehr aufhalten lassen. Nichts fürchteten die Grapschmanns und Schnittlings dieser Welt mehr.

EPILOG | Abreise
    Morgen würden wir losfahren. Ganz egal, wie die Wettervorhersage war. Chiara musste dringend nach Montalcino. Sie wollte sehen, wie die Ernte gelaufen war und wie die Weine sich entwickelten. Sie wollte, dass ich mitfuhr. Wir würden den Brenner überqueren, hinunter ins Eisacktal schauen, wahrscheinlich unsichtbar unter uns im Nebel verborgen. Vielleicht aber kam auch die Sonne heraus. Um diese Jahreszeit war das Wetter entlang der Alpen unberechenbar.
    Ich war seit Tagen nicht mehr in meiner Wohnung gewesen. Wahrscheinlich ging der Aufzug noch immer nicht. Die Arbeiter hämmerten im Dreivierteltakt und gingen abends unverrichteter Dinge heim. Ali hatte aus meiner Wohnung ein paar Hemden, Socken, Unterhosen und was man sonst noch so braucht geholt und ins Hotel gebracht. Wenn wir in zwei oder drei Wochen wieder zurückkamen nach Wien, dann würde Chiara bei mir wohnen. So dachten wir uns das jedenfalls.
    Chiara legte eine CD in den Player. Rainravens.
    Wrap your arms around me.
    Wenn sie ihre langen, dunklen Haare öffnete, die fast bis zu den Hüften reichten, dann war sie nackt ohne sich auszuziehen.
    Wrap your arms around me.
    Du tanzt ja nicht. Niemals. Ein ordentlicher Mann ist niemals ein ordentlicher Tänzer. Chiara lachte. Ihre Worte, nicht deine!
    Man steht ganz eng beieinander und wiegt die Hüften im gleichen Takt.
    Wrap your arms around me and move your hips.
    Wenn du so ruhig stehst, nur leicht die Hüften bewegst, da lässt sich sogar das Tanzen ertragen.
    Left shoe shuffle. Right shoe muffle. Sinking in the sand.
    Die Welt gibt so viele Antworten auf Fragen, die niemals gestellt worden sind. Deine Fragen allerdings, die blieben alle unbeantwortet.
    Das Leben ist einfach.
    Das Leben ist kompliziert.
    Das Leben versprach so viel und löste so wenig ein.
    Das Ganze war das Halbe. Das Halbe war die Wahrheit. Geteilt durch zwei gibt ein Viertel. Von wegen Mathematik.
    Die Welt reimt sich nicht, wird sich nie reimen. Am Ende bleiben alle Fragen offen. Das Ziel ist dort, wo keine Antworten mehr sind.
    Wir sind die Guten, aber was hilft uns das?
    Vom Urknall verlacht und irgendwann von einem Schwarzen Loch aufgesogen. Dazwischen schnell eine kleine, lächerliche Übung, wir nennen sie: Leben.
    Nichts leichter als das!







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