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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt
Autoren: Michael Amon
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Regietheater sprechen kann oder muss: etwa extreme Streichungen in den Stücken, Zertrümmerung der Handlung, oder wenn nicht in den Kostümen der jeweiligen Zeit der Handlung gespielt wird. Dazu gab es auch eine Liste von Regisseuren, die automatisch unter das Verbot gefallen sind, sich von ihnen engagieren zu lassen. Sie nannten das Listenregisseure. Nun gut, der Mühsal ist dahintergekommen, dass alle, man muss sich das vorstellen, alle Vereinsmitglieder außer ihm selbst und Bein gegen diese Vorschrift verstoßen haben. Alle haben sie heimlich und unter anderem Namen Engagements angenommen, die ihnen verboten waren. Sogar der Miller hat ein Engagement bekommen, wenn auch ein besonders kleines. Und damit sie nicht auffliegen, sind sie zu deutschen Provinztheatern gegangen, über die hierzulande nicht berichtet wird.“
    Pirchmoser hielt inne.
    „Wie ist der Mühsal denen auf die Schliche gekommen?“, fragte Chiara.
    „Sehr, sehr einfach und rein zufällig. Der Mühsal ist ein Fanatiker, und die haben nicht damit gerechnet, dass ersystematisch auch die Provinzbühnen beobachtet und sich im Internet über die Programme informiert. Er wollte so auch die Kartei mit den Listenregisseuren aktuell halten. Bei diesen Recherchen ist er der Reihe nach auf Bilder von den Vorstellungen gestoßen. Und was musste er sehen? Abtrünnige Vereinsmitglieder, die hier in Wien heilige Eide geschworen hatten und in der deutschen Provinz die selben Eide hurtig brachen.“
    „Und deshalb hat er die Leute umgebracht?“, fragte Chiara ungläubig.
    „Ja, der Mann ist ein Irrer. Ein Fanatiker. Der fand, dass es nicht genüge, die einfach nur auszuschließen. Er wollte sie bestrafen und sie damit gleichzeitig auch von ihrer Schuld, dem Meineid, befreien. In seinem Denken hatte das eine Logik. Er ermordete sie mit einer Tötungsart aus jenem Stück, in dem sie aufgetreten waren. Damit stellte er die natürliche Ordnung der Dinge wieder her.“ Pirchmoser machte eine kleine Pause.
    „Verstehe ich das richtig“, fragte ich nach, „die Hübner-Hübner hat zum Beispiel irgendwo unter anderem Namen ein Engagement im Faust angenommen, und weil es eine Inszenierung war, die nach Vereinsmeinung das Stück verschandelte, ist sie dafür zur Strafe vom Mühsal umgebracht worden?“
    „Genau so ist es“, sagte Pirchmoser, „und er hat den Tatort bewusst so hergerichtet, wie es der Inszenierung des Stücks im ursprünglichen Original entspricht. Also alte Kleidung, alte Schrift und so weiter. Eine altmodische, antimoderne Inszenierung der Morde. Skurril, oder?“
    „Sehr vorsichtig formuliert“, sagte Himmel.
    „Aber da ist noch eine besondere Ironie des Schicksals mit im Spiel“, sagte Pirchmoser. „Bei der letzten Inszenierunghat der Mühsal sich selbst nicht an seine Grundsätze gehalten und ist prompt von mir erwischt worden, als er den Scheinwerfer herrichten wollte.“
    „Wo ist da die Ironie?“, sagte ich.
    „Der Miller ist mit ,Kabale und Liebe‘ fremdgegangen. Mühsal wollte den Mord an John Miller als Selbstmord der Tochter des Miller aus dem Stück inszenieren. Übrigens vor der Kirche Maria am Gestade. Aber das nur nebenbei. Der Clou ist jedoch, dass die Tochter dieses Miller im Stück von ihrem Vater am Selbstmord gehindert wird. Mühsal verstößt also zweifach gegen seine eigenen Grundsätze: Er schreibt etwas in die Szene hinein, was bei Schiller nicht vorkommt, und er besetzt die Frauenrolle der Tochter mit einem Mann. Und das nur, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Damit entspricht seine Planung für den letzten Mord genau dem, was der Verein statutengemäß unter Regietheater versteht. Damit hat Mühsal ebenfalls gegen den eigenen Eid gehandelt und wurde prompt noch vor der Tatausführung von mir erwischt. Wenn das nicht schicksalshafte Ironie ist, dann weiß ich nicht.“
    Pirchmoser sah sich um. Ich hatte während seiner Ausführungen in den mir überbrachten Unterlagen geblättert. Das war starker Stoff. Ich sah Pirchmoser an, deutete auf das Kuvert und sagte: „Da drin sind die Beweise, dass der Schnittling was mit dem Mord am Bein zu tun hat.“
    „Waaas?“ Pirchmoser war außer sich. „Her damit! Wie kommst du an das?“
    „Egal“, sagte ich, „kannst du dir doch ohnedies denken. Mehrere Geheimdienste überwachen den ganzen Kreis rund um Schnittling und Schmauch-Baller seit Jahren. Erstens wegen der Waffengeschäfte und zweitens wegen des Verdachtsauf Geldwäsche. Aber du wirst das nicht verwenden
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