Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt
Autoren: Michael Amon
Vom Netzwerk:
Mund, man konnte nur die Augen sehen. Aber diese Augen, die kannte er. Pirchmoser wusste, dass er diese Augen schon einmal wo gesehen hatte. Er schob seinem Gegenüber die Kappe zurück, sodass die Stirne frei wurde, und zog gleichzeitig den Schal hinunter Richtung Hals. Stimmte, diese Person kannte er.
    Er holte das Handy heraus: „Pirchmoser. Ich habe hier eine Festnahme“, sprach er, nachdem sich die angewählte Dienststelle gemeldet hatte. „Schickt mir bitte eine Funkstreife zum Neuen Markt, Ecke Kupferschmiedgasse, damit wir die Person ins Präsidium verfrachten können.“ Pirchmoser war vorerst zufrieden. Er hatte das Gefühl, zumindest den ersten Zipfel zur Lösung des Falls in der Hand zu haben. Aber noch waren viele, genau genommen alle, Fragen offen.
    Du wälzt dich im Bett, schlaflos müde. Niemand ruft an, kein neuer Mord. Mit deiner Vorahnung lagst du diesmal daneben. Also schlaf wieder ein. Aber da ist was in der Luft. Ganz sicher. Bloß was?
    „Kannst du nicht schlafen?“, fragte Chiara, sie klang noch ziemlich schläfrig. Um vier Uhr morgens kein Wunder.
    „Mir geht so viel durch den Kopf“, sagte ich, „schlaf ruhig weiter. Ich werde sicher auch bald wieder einschlafen.“
    Sie drückt sich an dich, wozu zwei Tuchenten, wenn doch auch eine reicht. Schon schläft sie wieder fest und mit tiefen, langsamen Atemzügen. Du liegst ganz ruhig, um ihren Schlaf nicht zu stören. Aber die Luft, es ist etwas in der Luft. Den Himmel anrufen? Verdient hätte er es, nachdem er dir zwei Nächte hintereinander versaut hatte. Eigentlich nicht er, sondern der Mörder oder die Mörderin. Den Pirchmoser anrufen? Hatte der nicht gesagt, er habe ohnedies die ganze Woche hindurch Nachtdienst? Wahrscheinlich hatte er es sich im Präsidium neben seinem Schreibtisch gemütlich gemacht. Er hatte sich vor ein paar Monaten einen modernen Flugzeugsitz besorgt, den man für die Nacht mit wenigen Handgriffen in ein bettähnliches Gerät umbauen konnte. Sündhaft teuer eigentlich. Aber er hatte ein preiswertes Exemplar aus der ersten Testserie aufgetrieben. Auf dem schlief es sich gar nicht so schlecht, vor allem, weil man nicht in der Luft war, sondern auf dem Boden und folglich keine Flugangst haben musste. Wahrscheinlich lag Pirchmoser bequem ausgestreckt in seinem Luxusgerät und träumte von einer Welt, in der er alle Verbrechen aufklären konnte. Das wäre dann wohl eine Welt ohne die Grapschmanns und Schnittlings. Dabei wollte Pirchmoser gar nicht alle Verbrechen aufklären, alle Morde, das ja, aber nicht alle Verbrechen.
    „Es muss einen überschaubaren Rest unaufgeklärter Verbrechen geben“, dozierte er immer, „sagen wir: in der kleinen und mittleren Kategorie, keine Kapitalverbrechen, nichts wirklich Großes. Ein paar Einbrüche halt, ein paarTaschendiebstähle, vielleicht auch mal ein kleiner Banküberfall. Nichts, bei dem Menschen körperlichen Schaden erleiden. Aber dieser kleine, ungeklärte Rest muss sein. Eine Gesellschaft, die alle Verstöße aufklären und sanktionieren kann, wäre mir unheimlich. Ohne eine kleine Zahl ungelöster Fälle ist die Freiheit am Ende.“ Pirchmoser hatte dir das schon oft erklärt.
    Schlaflos. Du gibst es auf, greifst zum Handy. Ein gar nicht grantiger Pirchmoser hebt ab.
    „Ich habe eine Festnahme“, sagte er.
    „Ja und“, fragte ich, „das ist doch normal, oder?“
    „Ich sage nur: Shakespeare-Mörder, um Himmel zu zitieren.“ Pirchmoser lachte.
    „Wahnsinn“, mir fehlten die Worte, „echt?“
    „Schaut so aus!“, sagte Pirchmoser.
    „Wer?“, fragte ich.
    „Lass dich überraschen, das errätst du nie. Aber wie gesagt: Ich weiß noch nichts Genaues. Wir fahren gleich ins Präsidium zum Verhör, ich warte nur auf eine Funkstreife. Und die Kollegen von der Spurensicherung sind auf dem Weg zur Hausdurchsuchung. Mal sehen, was sie finden.“
    „Mehr weißt du nicht?“, fragte ich.
    „Nein, ich habe nur jemanden dabei erwischt, wie er einen dieser Bühnenscheinwerfer samt Stativ durch die Innenstadt befördern wollte“, sagte Pirchmoser.
    „Da glaube ich an keinen Zufall. Sag mir endlich, wer es ist“, bat ich.
    Pirchmoser genoss es, mich zappeln zu lassen: „Geht noch nicht, erst wenn ich das erste Verhör gemacht habe.“
    Ich beschloss, mir ein Taxi zu holen und zum Präsidium zu rasen. Vielleicht schaffte ich es noch so rechtzeitig, dass ich sah, wen Pirchmoser da anschleppte. Also doch rausaus dem Bett, die dritte Nacht ohne Durchschlafen, war aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher