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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt
Autoren: Michael Amon
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ohnedies schon egal. „Komm bald wieder“, flüsterte Chiara.
    „Natürlich, ich beeile mich, will nur schnell etwas besichtigen“, sagte ich. Ich wählte die Nummer meines Leib-Taxifahrers Kamel-Estwakel. Er war in einem kleinen Ort in der Nähe von Kairo geboren worden, lebte schon zwanzig Jahre hier im Land. Wir nannten ihn mit seiner Erlaubnis Ali, denn Estwakel fanden alle zu lang und Kamel zu komisch.
    Ali sah sehr arabisch aus, sehr dunkel, sprach aber akzentfreies Deutsch. Wir nannten ihn auch „den Japaner“, denn wenn es eilig war, fuhr er wie ein Kamikazeflieger. Ich hatte ihm blöderweise gesagt, dass es eilig sei, und zu allem Überfluss auch noch mit einem 50-Euro-Schein vor seinen Augen herumgefuchtelt. Harakiri mit Anlauf. Wien wurde zu Monte Carlo, Formel 1 ohne Absperrungen. Der Mann kannte keine Furcht, ich leider schon. Wir würden ankommen, sagte Ali: „Inschallah“. So Gott will. Hätte ich nur den Fünfziger in der Tasche gelassen. So ließ ich wahrscheinlich Geld und Leben. Inschallah.
    Mit rauchenden Bremsen und quietschenden Reifen hielt Ali, der japanische Araber, abrupt sein Taxi an. Ich knallte gegen den Vordersitz. Wir standen millimetergenau vor der Einfahrt zum Polizeipräsidium. Er drehte sich zu mir um. Ali hatte natürlich weder „Schlitz“augen noch eine gelbe Hautfarbe, weiße Zähne blitzten aus seinem dunklen Gesicht, er lachte von einem Ohr zum anderen: „Neuer Streckenrekord.“ Mir war sauschlecht. Ich hatte das seltene Bedürfnis, mich zu bekreuzigen, eine Gefühlsaufwallung, die ich sofort unterdrückte. Im selben Moment fuhr neben uns ein Polizeiauto mit eingeschaltetem Blaulicht vorbei, bog links neben uns ab in die Einfahrt. Aus dem Fenster beim Beifahrersitz winktemir Pirchmoser zu und lächelte. Dann verschwand der Wagen in der Einfahrt. Verdammt noch einmal, ich hatte mein Leben riskiert. Für nichts. Um Pirchmosers Lächeln zu sehen, hätte ich nicht so rasen lassen müssen.
    „Bring mich wieder zurück“, sagte ich zu Ali, er hatte mir schon vor Jahren das Du-Wort angeboten. Ich konnte ihm seinen Fahrstil nicht vorwerfen, er hatte bloß meinen Wunsch erfüllt.
    „Immer zu Diensten“, sagte er formvollendet. Jetzt erst bemerkte ich, dass ich während der ganzen Raserei zum Präsidium verkrampft den Fünfziger in der Hand gehalten hatte. Ich merkte es deshalb, weil mir Kamel-Estwakel genau in dieser Sekunde den Schein aus der Hand nahm und ihn in seiner Hemdtasche verstaute.
    „Rechnung?“, fragte er. Ali war wirklich der perfekte Dienstleister. Fünfzig Euro gegen zwei weiche Knie. Ein schlechtes Geschäft. Für mich, nicht für ihn.
    „Danke, keine Rechnung. Und bitte keinen neuen Streckenrekord.“
    Ich ging auf Nummer sicher. Sowohl was die Fahrgeschwindigkeit betraf als auch meine Belege für das Finanzamt. Fünfzig Euro, nur um zu sehen, wen der Pirchmoser festgenommen hatte, das war ganz sicher keine betriebsnotwendige Ausgabe. Meine Steuerberaterin war da sehr pingelig. Fast so pingelig wie die Steuerbehörde. Ehrlich gesagt: Sie war wesentlich pingeliger als die Steuerbehörde. Aber sie sagte immer, in Kenntnis fast aller meiner Geheimnisse: „Wer moraltriefende Kommentare schreibt, muss den eigenen moralischen Kriterien genügen. Eine weiße Weste haben hierzulande alle, das gehört zur Landestracht. Aber nichts angestellt zu haben, das ist eine Kunst. Dabei helfe ich Ihnen.“ Wo sierecht hatte, hatte sie recht. Ich beugte mich ihrer steuerlichen Strenge und brauchte keine weiße Weste, keine Unschuldsvermutung, nur ausreichend Kleingeld, um alle drei Monate meine Steuervorauszahlungen überweisen zu können. Ali aber hatte leicht lachen. Der steckte den von mir versteuerten Fünfziger schwarz ein. Er trug die unsichtbare Landestracht. Da sage noch einer, Zuwanderer wären unwillig, sich anzupassen.
    Also zurück ins Bett.
    „Alles ok?“, fragte Chiara.
    „Beinahe. Wenn man davon absieht, dass ich beinahe umgekommen wäre und statt in das Gesicht des Mörders ins grinsende Antlitz vom Pirchmoser gesehen habe, von diesen Kleinigkeiten abgesehen, geht es mir gut. Du hast keinen 60-prozentigen Enzian im Nachtkästchen?“
    „Stimmt“, sagte Chiara und beugte sich zu mir, „aber vielleicht hilft das.“ Ich spürte ihre Lippen auf den meinen. Ob es half? Wer kann das schon sagen. Es schadete jedenfalls nicht. Sie schlang ihre Beine um die meinen, zerknüllte meinen Kopfpolster und zog mir einen Teil der Tuchent weg, als sie sich selbst
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