Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gewagte Antrag

Der gewagte Antrag

Titel: Der gewagte Antrag
Autoren: Paula Marshall
Vom Netzwerk:
1. KAPITEL
    “W as war nur in dich gefahren, Charles?”, fragte Guy kopfschüttelnd. “Wie konntest du dich so aufführen? Ein solches Verhalten sieht dir doch überhaupt nicht ähnlich! Aber dein Benehmen bei Watier, noch dazu vor Trenchard, war wirklich der Gipfel! Hörst du mir eigentlich zu, Charles? Um vier Uhr nachmittags kannst du doch nicht immer noch betrunken sein!”
    Charles Augustus Shadwell, Viscount Halstead, Erbe des dritten Earl of Clermont, einst Captain der Kavallerie unter Wellington und seit fünf Jahren außer Dienst, war bemüht, sich im Bett aufzurichten, doch vergebens. Alles drehte sich ihm vor den Augen; der Mund war ausgetrocknet, und im Magen hatte er ein abscheuliches Gefühl. “Musst du solchen Lärm machen?”, murmelte er und stöhnte laut.
    “Lärm?”, wiederholte Guy indigniert. “Und ich habe stets von dir gedacht, du würdest nicht trinken, zumindest nicht seit deinem Eintritt in die Armee! Welcher Teufel hat dich gestern Abend geritten? Ganz London weiß bereits Bescheid, und Trenchard war, was dich nicht wundern darf, längst bei Vater und hat ihm alles brühwarm berichtet.”
    “Was denn?”, brummte Charles, setzte sich seufzend auf und merkte, dass er sich nachts in trunkenem Zustand vollbekleidet hingelegt hatte. “Weshalb hältst du mir eigentlich eine Standpauke, Guy? Um Himmels willen, lass die Vorhänge zu, wenn dir noch ein Funke Zuneigung für mich geblieben ist! Im Dunklen geht es mir schon schlimm genug, doch im Hellen …”
    “Ach, halt den Mund!”, herrschte Guy ihn an und zog mit einem Ruck die Portièren zurück. Bei Licht betrachtet, bot der stets von ihm verehrte Bruder in der unordentlichen, abstoßend fleckigen Kleidung einen jämmerlichen, bleichen und übernächtigten Anblick. Guy war zutiefst erschüttert und machte keinen Hehl aus seiner Meinung.
    Charles versuchte, sich zu entsinnen, was er gesagt oder getan haben sollte, das den im Allgemeinen respektvollen Bruder so gegen ihn aufgebracht haben konnte. Er konnte sich nur erinnern, dass er am vergangenen Nachmittag wutschnaubend und außer sich vor Zorn Miss Mertons Haus verlassen hatte. Danach musste er sich sinnlos betrunken und etwas Furchtbares angestellt haben, das Guys Worten zufolge offenbar einen gewaltigen Aufruhr erzeugt hatte. Doch was das sein konnte, hatte er längst vergessen. Von dem Augenblick an, da die Tür zu Miss Mertons Salon mit lautem Knall hinter ihm zugefallen war, hatte er eine Gedächtnislücke, als sei nie etwas geschehen.
    Von Charles enttäuscht, äußerte Guy mit bekümmerter Miene: “Vater will dich umgehend sehen. Du meine Güte, Charles! Warum musstest du das tun, ausgerechnet jetzt, da ihr wieder einigermaßen miteinander auskommt? Und was soll Miss Merton denken, wenn sie die Neuigkeit erfährt?”
    “Ich gebe keinen Deut darum, was sie denkt!”, antwortete Charles schroff, stand auf und torkelte zum Pilasterspiegel. Was er sah, verursachte ihm Entsetzen. Die kurzen schwarzen Locken hingen ihm zerzaust in die Stirn; die Augen waren rotgerändert und blutunterlaufen, und das markante, jetzt eingefallen wirkende Gesicht hatte eine ungesunde, beinahe gelbliche Blässe. So, wie er sich im Moment präsentierte, musste er jeden abschrecken. Ihm konnte das nur recht sein, denn je mehr Frauen sich voll Grausen von ihm abwandten, desto wohler war ihm ums Herz. In den vergangenen Jahren hatte er viel zu sehr im Mittelpunkt ihres Interesses gestanden, und jede von ihnen war im Grunde ihres Herzens ein leichtfertiges Weib gewesen. Julia Merton war nur die letzte in dieser lange Reihe gewesen, so wahr Gott ihm helfe.
    Guy hörte nicht auf, den Bruder mit Vorwürfen zu überschütten und im Zimmer auf und ab zu gehen.
    “Sei endlich still!”, knurrte er barsch und wankte zum Toilettentisch. Er goss kaltes Wasser aus der Porzellankanne in die Waschschüssel und tauchte das Gesicht ein. Vielleicht half es, ihm einen klareren Kopf zu verschaffen, und außerdem entging er des Bruders ewigen Tiraden. Nach einem Moment straffte er sich, schüttelte sich die Nässe aus den Haaren und murrte: “Hab wenigstens die Güte, Guy, mir zu erklären, was ich gemacht habe oder angeblich gesagt haben soll!”
    “Von angeblich kann nicht die Rede sein!”, erwiderte Guy erbost. “Ich weiß, wovon ich rede! Schließlich war ich ja da! Und wer, glaubst du, hat dich heimgebracht und Ulric Tallboys davon abgehalten, dich auf der Stelle umzubringen?”
    “Meinen herzlichsten Dank!”,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher