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Der gewagte Antrag

Der gewagte Antrag

Titel: Der gewagte Antrag
Autoren: Paula Marshall
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knurrte Charles, ergriff den Bruder bei den Schultern und schüttelte ihn kräftig. “Willst du mir jetzt endlich sagen, was ich getan haben soll? Oder muss ich dich so lange beuteln, bis dir die Worte von allein über die Lippen kommen? Ich möchte unverzüglich wissen, wessen ich beschuldigt werde.”
    “Das weißt du wirklich nicht?”, wunderte Guy sich keuchend und war froh, dass Charles ihn losließ. “Gestern bist du bei Watier erschienen, warst bereits halbbetrunken und konntest dich kaum noch auf den Beinen halten. Du hast wie ein Verrückter gespielt, und dann …”
    “Oje!”, stöhnte Charles auf und sank matt auf das Bett. “Das genügt, Guy. Leider erinnere ich mich nun an alles.”
    “Puh, welche Erleichterung!”, murmelte Guy, ging zum Toilettentisch und goss Wasser in ein Glas. Er kehrte zum Bruder zurück, reichte es ihm und forderte ihn auf: “Hier, trink das! Danach wirst du dich wohler fühlen.”
    “Nichts kann mir helfen, mich je wieder in Ordnung zu fühlen”, meinte Charles niedergeschlagen. Er bedauerte, dass er schuld war an Guys unübersehbarem Ärger. Mit neunzehn Jahren war der Bruder elf Jahre jünger als er und hatte stets bewundernd zu ihm aufgeschaut. Vielleicht lag es daran, dass sie beide im Äußeren und im Wesen so unterschiedlich waren. Er ähnelte seinem Vater, während Guy blond war, schlank und reichlich schüchtern.
    “Ich werde deinem Kammerdiener läuten”, sagte Guy entschlossen. “Du solltest dich herrichten lassen, wenn du zu Vater willst. Im Augenblick siehst du furchtbar zerknittert und mitgenommen aus.”
    Charles hatte nichts dagegen, dass der Bruder ihn kommandierte. Guy hatte ihn gern, immer seine Partie ergriffen und auch jetzt nur die besten Absichten.
    Einige Zeit später stand er wartend im Gang vor den Gemächern des Vaters, dessen Sekretär ihm mit Leichenbittermiene mitgeteilt hatte, dass Seine Lordschaft noch beschäftigt sei, den Sohn jedoch in Kürze empfangen werde. Er war sicher, dass der Vater ihn absichtlich hinhielt. In Anbetracht dessen, was tags zuvor bei Watier geschehen war, hatte er wohl keine bessere Behandlung verdient. Als der Sekretär ihn schließlich in das Arbeitszimmer bat, war er nicht überrascht, den Vater in starrer Haltung vor dem Schreibtisch stehen zu sehen, hinter dem das wundervolle Porträt der verstorbenen Mutter an der Wand hing.
    “Du weilst also wieder unter den Lebenden”, stellte George Shadwell, Earl of Clermont, in ironischem Ton fest. “Stimmt es, was ich von Trenchard gehört habe?”
    “Da mir nicht geläufig ist, was er dir berichtet hat, finde ich deine Frage schwer zu beantworten.”
    “Lass die Wortklauberei, Charles! Ich spreche von deinem gestrigen Besuch bei Watier. Du hast eine abscheuliche Wette abschlossen und dich über deren Anlass auch noch in der peinlichsten Weise lustig gemacht. Das ist wahrlich nicht das Benehmen, welches ich von meinem Sohn und Erben verlangen kann!”
    Seit dem vergangenen Abend hatte Charles' Selbstvertrauen sehr gelitten. Daher unternahm er keinen Versuch, sich zu verteidigen, sondern erwiderte nur verbittert: “Ich habe nie aufgehört, den Tag zu verfluchen, an dem ich dein Erbe wurde. Gott weiß, wie hart ich mich bemüht habe, Fredericks Platz auszufüllen, doch dir kann ich nie etwas recht machen. In deinen Augen ist Frederick unvergleichlich.”
    “Was du in der Tat nicht bist!”
    Charles hatte den Eindruck, dass er sich nun doch etwas zur Wehr setzen müsse. “So, wie du mich siehst, wohl nicht”, entgegnete er kühl. “Aber Fredericks Tod hat mir nicht nur den Bruder genommen, dem ich in der Erbfolge keineswegs folgen wollte, sondern mich auch meiner Karriere in der Armee beraubt. Beim Militär habe ich mich sehr wohl gefühlt und hatte mir auch bereits einen Namen gemacht. Vergiss das bitte nicht!”
    “Ach, was!”, sagte George schroff. “Mein Erbe konnte nicht bei der Kavallerie bleiben, und außerdem ist der Krieg vorbei. Du wurdest hier gebraucht, damit du lerntest, den Besitz vernünftig zu verwalten.”
    “Darum habe ich mich nach Kräften bemüht”, erwiderte Charles fest. “In dieser Hinsicht hast du nicht den geringsten Grund zur Klage. Green hat dir gewiss nicht nur über meine Tüchtigkeit berichtet, sondern auch von den in Pinfold eingeführten Neuerungen. Indes, Frederick kann ich natürlich nicht ersetzen, und das ist der wahre Grund, warum es ständig Spannungen zwischen dir und mir gibt. Lediglich in der Zeit, als ich beim
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