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Der Gedankenleser

Der Gedankenleser

Titel: Der Gedankenleser
Autoren: Jürgen Domian
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beschleunigte sich, ich begann zu schwitzen und wurde unruhig. Ich war derart verwirrt, dass ich erneut meine Augen mehrmals heftig zukniff, sie wieder öffnete, an die Decke starrte, Anna ansah und dann aus dem Fenster stierte. Aber mein Sehvermögen war nicht im Geringsten beeinträchtigt. Ich sah die Welt messerscharf und in ihren natürlichen Farben, aber in meinem Inneren strahlten Rot und Blau.
    »Fühlst du dich wirklich gut?«, fragte Anna.
    »Ja, es sind nur noch ein paar Schleier vor den Augen, das vergeht bestimmt bald.«
    Ich schaute Anna an. Sie schwieg, hatte einen sowohl liebevollen als auch besorgten Gesichtsausdruck und streichelte meinen Arm.
    Und dann haute es mich förmlich um - denn ich hörte folgenden Satz:
     

    Mein Bärmann, oje, hoffentlich hast du nicht doch einen Schaden zurückbehalten ...
     

    »Was?«, schrie ich sie fast an.
    Aber kaum hatte ich das Wort ausgesprochen, wusste ich, dass ich es nicht hätte tun sollen.
    Denn das war nicht Anna gewesen, die da gesprochen hatte. Sie saß doch vor mir und schwieg, ihr Mund war geschlossen, ihre Lippen hatten sich nicht bewegt. Daran bestand kein Zweifel. Die Stimme kam mir aber bekannt vor. Ja, nun fiel es mir wieder ein, es war dieselbe, die ich zwei Stunden zuvor, während des Gespräches mit Dr. Bauer, gehört hatte.
    »Entschuldige«, sagte ich schnell, noch bevor sie in irgendeiner Weise hätte reagieren können, »es dauert wohl doch noch eine Weile, bis ich wieder richtig zu mir komme.«
    »Ja, so wird es wohl sein. Du hast etwas sehr Schlimmes erlebt. Du brauchst Ruhe.«
     

    Aber hoffentlich ist es damit getan ...
     

    Jetzt verlor ich völlig die Selbstbeherrschung. Obwohl ich intuitiv wusste, dass Anna die letzten Worte nicht laut gesprochen hatte, packte ich sie bei den Schultern, rüttelte sie und stammelte: »Warum sagst du so was? Warum? Meinst du, einem Kranken tut das gut? Meinst du, das baut mich auf?«
    Sie sah mich entsetzt an, sprang von meinem Bett auf und stolperte ein paar Schritte zurück.
    »Ich habe doch gar nichts gesagt! Wovon redest du denn?«
    Mein Puls raste, aber es gelang mir, schnell wieder die Kontrolle über mich zu bekommen.
    »Entschuldige, entschuldige bitte ... aber ich meinte, gerade etwas gehört zu haben, mir war, als hätte jemand etwas gesagt.« Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, bereute Ich sie auch schon wieder. Denn sie ließen ja auf ein nicht intaktes Gehirn schließen, und ich wollte doch unbedingt als vollkommen gesund und fit dastehen. Auch vor Anna.
    Was merkwürdig war. Denn eigentlich hätte ich ihr von meiner inneren Not erzählen müssen. Sie war der mir vertrauteste Mensch auf der Welt. Aber ich tat es nicht. Weder am ersten Tag nach meinem Unfall noch an den Tagen danach.
    Anna kam wieder zurück an mein Bett, sah mich ernst an und sagte: »Morgen wird es besser sein, Arne. Sicher wirken einige Medikamente noch nach, und überhaupt befindest du dich ja noch in einem Schockzustand.«
     

    Hoffentlich hat der Blitz keine Psychose in ihm ausgelöst.
     

    Diesmal schwieg ich. Aber ich zitterte am ganzen Leib. Eine Psychose? Ich? Ein Bekannter von mir war vor Jahren von einer Psychose befallen worden. Ich hatte ihn oft in der Psychiatrie besucht und wusste um die Schwere und den Schrecken dieser seelischen Erkrankung.
    Anna ging zum Waschbecken meines Zimmers und trank ein Glas Wasser. Ich saß erschöpft in meinem Bett und war vollkommen durcheinander.
    »Wir könnten ja ein paar Tage ans Meer fahren, wenn du aus dem Krankenhaus entlassen bist«, sagte sie und setzte sich dabei auf einen kleinen Sessel, etwa zwei Meter von mir entfernt.
    »Ja, das würde mir gefallen. Hier halte ich es sowieso nicht mehr lange aus. Mir fehlt ja nichts.«
    »Was machen die Verbrennungen am Hinterkopf?«
    »Das wird schon wieder. Es tut kaum weh. Aber mit meinem rechten Ohr stimmt was nicht ...« Dies zu »verraten« schien mir harmlos, und ich hoffte, so von meiner inneren Verwirrtheit ablenken zu können. Und tatsächlich, Anna stieg darauf ein, und in einem recht sachlichen Ton mutmaßten wir darüber, ob die Elektrizität meinen rechten Hörnerv eventuell geschädigt haben könnte. Dieses Gespräch verschaffte mir etwas Luft, meine Fassung wiederzugewinnen. Währenddessen kreisten meine Gedanken beständig um das Geschehene. Immer wieder versuchte ich mir einen Reim auf die seltsamen Vorkommnisse zu machen. Aber vergeblich.
     

    Annas Besuch dauerte gut eine Stunde, und sie blieb bis zum
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