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Der Gedankenleser

Der Gedankenleser

Titel: Der Gedankenleser
Autoren: Jürgen Domian
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Schluss auf dem kleinen Sessel neben meinem Bett sitzen.
    Während sie dort saß, ereignete sich weiter nichts Befremdliches, so dass ich zunehmend entspannter wurde und bald in gewöhnt vertrauter Weise mit ihr redete, fast, als wäre nichts geschehen. Den seltsamen Zwischenfall zu Beginn ihres Besuches thematisierten wir beide nicht weiter. Ich nicht, weil ich etwas Unheilvolles in mir ahnte und jede Spekulation oder gar Diskussion über meine geistige Verfassung verhindern wollte, und sie vermutlich nicht, weil sie sich große Sorgen um mich machte und Schweigen für das Klügste hielt, um mich nicht zu beängstigen.
    Als sie sich verabschiedete, gaben wir uns wieder einen Kuss, so wie zur Begrüßung, und sie sagte leise: »Mein Bärmann! Komm bald wieder nach Hause!« Aber noch ehe ich ei was erwidern konnte, wurde ich von Rot geradezu überflutet - und ich hörte wieder die Stimme:
     

    Wer weiß, was die Untersuchungen morgen ergeben. Bestimmt wirst du noch eine ganze Weile hier bleiben müssen ...
     

    Ich glaube, in diesem Moment glotzte ich Anna an wie ein Idiot. Nur ein paar Sekunden hielt sie meinem wohl irren Mick stand. Dann ging sie zurück zum Sessel, um ihre Handlasche zu holen.
    »Das wird schon wieder«, sagte sie, mir zugewandt. »Hab eine gute Nacht, morgen in der Mittagspause komme ich wieder vorbei.«
     

    Hin recht kraftloses »Ja, gut« schaffte ich so gerade eben, Anna ging zur Tür, sie winkte und lächelte, und ich nickte ein paarmal in ihre Richtung, aber es kostete mich viel Kraft, sie dabei anzusehen.

4

    Schon vier Tage nach meinem Unfall entließ man mich aus dem Krankenhaus. Ich hatte alle Untersuchungen gut überstanden, und körperlich ging es mir bestens. Die Verbrennungen am Hinterkopf waren nicht der Rede wert. Nur mein rechtes Ohr machte den Ärzten noch Sorgen. Aber eigentlich hatte ich mich schon damals damit abgefunden, dass ein dauerhafter Hörschaden auf der rechten Seite zurückbleiben würde, und ich arrangierte mich sehr schnell mit dem einseitigen Hören. Ganz im Gegensatz zu dem, nennen wir es einmal so, inneren Hören. Immer wieder tauchte die Stimme aus dem Nichts auf, sagte sonderbare, absurde oder auch obszöne Dinge und verstummte manchmal ganz abrupt. Die Tage im Krankenhaus hatten mich immense Kraft gekostet. Ich fühlte mich noch immer angeschlagen und erschöpft von dem Unfall und spürte zudem in mir etwas so atemberaubend Fremdes, dass ich an meinem Verstand und meiner geistigen Gesundheit stark zweifelte. Dies alles aber wollte ich unter keinen Umständen nach außen hin zeigen. Niemand sollte um meine seelische Verfassung wissen. Die Befürchtung, ansonsten in eine vielleicht nicht mehr zu stoppende medizinische Maschinerie zu geraten und somit meiner Freiheit beraubt zu werden, war wohl der Grund für meine strikte Maskerade. Ich spielte den entspannten und zufriedenen Patienten, der im vollen Besitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte nur darauf wartete, wieder in die Normalität des Alltags entlassen zu werden. Ich scherzte mit den Krankenschwestern, führte mit Dr. Bauer und ein paar anderen Ärzten beflissen Gespräche über Kultur, Politik und die Medienbranche und verstellte mich sogar vor Anna, wie ich es zuvor noch nie getan hatte. Einem verschwommenen Gefühl folgend, war ich darauf bedacht, dass mir niemand zu nahe kam. Auch Anna nicht. Was sie merklich irritierte, doch sie sprach es nicht an. Blieb die Distanz zu den Menschen gewahrt, ging es mir gut. Wurde jedoch eine Grenze überschritten, tobte in mir das Fremde. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich dafür noch keine Erklärung.
     

    Anna und ich fuhren nach meiner Entlassung nicht ans Meer. Ich hatte keine Lust dazu - und auch Anna verfolgte die Idee nicht weiter. Nur einmal, am zweiten Tag meines Krankenhausaufenthaltes, streifte sie kurz dieses Thema. I laibherzig, wie mir schien. Wohl einer Pflicht nachkommend, da sie den Vorschlag ja schließlich gemacht hatte. Mich überraschte ihr Verhalten, da sie das Meer liebte und es eigentlich ihre Art gewesen wäre, mich von der Notwendigkeit einer kleinen Reise zu überzeugen. Aber sie tat es nicht. Stattdessen schlug sie vor, dass sie ein paar Tage Urlaub nehmen könnte - ich war ja ohnehin noch drei Wochen krankgeschrieben - und wir gemeinsam in unserem Garten faulenzen sollten. Unter normalen Bedingungen hätte mir so etwas durchaus gefallen. Jetzt aber verspürte ich bei der Vorstellung einer gemeinsamen Gartenruhe heftigen
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