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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel
Autoren: Leif Davidsen
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zu drehen und das rostrote Geländer zu fassen zu kriegen. Er flog. Es war ein sonderbares Gefühl. Er befand sich im Nichts und schwebte sekundenlang in einer warmen, salzigen See und wußte, nun würde die große Welle aus der Unendlichkeit kommen, ihn in die Höhe heben, ans Ufer spülen und ihn an den Klippen zerschmettern.
    Toftlund hechtete vor, als Vuk fiel, und streckte beide Arme aus, um seine Hände oder seine Jacke zu ergreifen. Es war zu spät. Vuk stürzte lautlos in die Schlucht. Er traf auf einen Baum. Man hörte, wie die Äste brachen, als der Körper durch die Krone schlug, bis er mit einem dumpfen Geräusch aufprallte.
    Toftlund sank auf das eine Knie. Ihm war speiübel, und sein Mund schmeckte nach Blut. Er blickte auf das alte Cuenca hinüber. Er sah alles so klar wie durch einen Tunnel, der das Licht verstärkte. Jetzt konnte er das Reklameplakat lesen: » La ilusi ó n se cumple cada d í a. «
    Toftlund fing an zu lachen. Er hörte Schritte. Juan kam herbei. Hinter Juan legte der uniformierte Beamte dem Amerikaner Handschellen an. Er lag mit dem Bauch auf dem Boden, die Hände auf dem Rücken. Toftlund war alles egal. Am liebsten hätte er gleichzeitig gelacht und geheult. Vielleicht stand er unter Schock. Er mußte sich zusammenreißen, er mußte Lise unbedingt von dem Plakat erzählen. Er las es noch einmal. Das Fräulein auf dem Bild hatte einen kirschroten Mund. Der Spruch war wirklich unbezahlbar. Wahrscheinlich war es eine Werbung für die Eisenbahn. Aber was bedeutete er genau? Juan faßte ihn unter und zog ihn hoch, aber er durfte das Reklameplakat jetzt nicht aus den Augen verlieren. Er mußte verstehen, was da stand. Es war sehr wichtig. Juan stellte ihn auf die Beine, zog ihn an sich und nahm ihn in die Arme. Da merkte Toftlund, wie er hysterisch zu lachen anfing, denn endlich konnte er den Werbespruch übersetzen, und irgendwann wurde ihm bewußt, daß er ihn pausenlos vor sich hin brabbelte: »Die Illusion vollzieht sich jeden Tag. Die Illusion vollzieht sich jeden Tag. Die Illusion vollzieht si …«

28
    Als sich gerade ein Gewitter über dem Wald entlud und ein Wolkenbruch niederging, lieferte Toftlund eine todmüde Freya in Ganløse ab. Lise hatte Kaffee gemacht, saß auf dem Sofa und las Zeitung. Per erkannte Jette Vuldoms Foto unter der Überschrift: »PND-Chefin geht«. Sie legten Freya neben Lise aufs Sofa, und Per beruhigte sie mit dem Schnuller, der eigentlich längst aus dem Verkehr gezogen sein sollte. Sie hatten einen schönen Nachmittag im Zoo verbracht, aber jetzt war die Kleine vollkommen erschöpft. Lise zeigte auf das Bild von Vuldom.
    »Jetzt bekommt sie also das, was sie immer haben wollte? Vorsteherin eines Polizeikreises in der Provinz.«
    »Ein bißchen schneller, als sie sich das vorgestellt hatte.«
    »Das heißt, sie ist gegangen worden?«
    »Klar. Wir kriegen einen neuen Chef. Peter Sigvardt. So um die dreißig. Bürstenhaarschnitt, Marathonläufer, Nichtraucher. Hat einen Haufen Management- und Teambuildingkurse mitgemacht. Der Mann der Zukunft. Der ganze Dienst kriegt eine neue Struktur und einen neuen Sitz. Neue Zeiten, neue Köpfe.«
    »Geht’s auch um deinen?«
    Er sah sie an und schenkte Kaffee ein.
    »Es geht auch um meinen«, sagte er.
    »Und?«
    »Nichts und. So ist es eben.«
    »Es geht also einfach nur um irgendwelche Strukturänderungen? Eine neue Regierung tauscht die Räte und Ausschüsse der alten aus. Und das soll ich glauben?«
    Toftlund beugte sich in seinem Sessel vor und versuchte, nicht allzu auffällig auf ihre braungebrannten Beine zu starren. Er atmete tief durch, und sie hatte den Eindruck, daß er tatsächlich mit sich rang, und empfand mit einemmal ein ganz unvernünftiges zärtliches Gefühl für ihn.
    »Ach, auch egal«, platzte es aus ihm heraus, »aber du darfst das auf keinen Fall schreiben, Lise, klar? Man hat ziemlich detaillierte Pläne für ein Selbstmordattentat auf das Bella Center gefunden, weißt du, wo normalerweise die Gipfeltreffen stattfinden. Die Pläne gaben zwar keinen Aufschluß darüber, wie man die Sicherheitssysteme überwinden wollte, aber die Pläne waren nun mal da. In allen Einzelheiten. Ich war derjenige, der den Politikern hoch und heilig versichert hat, daß derlei Pläne nicht existieren, aber Vuldom ist die Chefin, also muß sie die Suppe auslöffeln. Die Regierung opfert Vuldom, und dadurch überlebt sie, die Sache wird im Vermittlungsausschuß begraben, aber jemand muß den Kopf dafür
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