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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel
Autoren: Leif Davidsen
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    Der Mann, den man einst unter dem Namen Vuk gekannt hatte, konnte zwei von ihnen riechen und wußte, daß sich die drei anderen langsam auf seine linke Flanke zu bewegen würden. Es war der scharfe Zigarettengeruch, der in den Kleidern des ältesten Japaners hing, des Mannes, der diesen unaussprechlichen Namen hatte und kein Englisch konnte. Sein Begleiter war ein schmalschultriger junger Mann mit großen Zähnen, der ständig lächelte. Der Junge sprach Englisch, allerdings wurde bei ihm der Buchstabe R zu L. Anfangs hatte Vuk so seine Probleme gehabt, sie zu verstehen, mittlerweile funktionierte es prächtig. Es war früher Morgen, aber die gelbe Sonnenscheibe stand schon hoch am Himmel, und die Temperatur stieg von Minute zu Minute. Die Sonne brannte ihm auf den Rücken, trotzdem regte er sich nicht und hielt die Waffe locker in der Hand, damit der Schaft der langläufigen Pistole vom Schweiß nicht glatt und rutschig wurde. Er hatte sich das Gesicht angemalt, braun und ocker wie die Landschaft ringsum, und die Mütze tief in die Stirn gezogen, damit seine scharfen blauen Augen im Schatten lagen. Sein Atem ging ruhig und regelmäßig, und er hörte, wie sich die Gegner möglichst geräuschlos zu bewegen versuchten, aber sie hatten nicht an ihre Tarnkleidung gedacht, die über die mehr oder weniger großen Steine im Wüstensand schabte. Sicher troffen ihre Hände vor Schweiß, was sowohl an der Hitze als auch an ihrer Nervosität liegen mochte. Aber sie kamen näher. Dabei hatte ihnen die Morgendämmerung geholfen, diese Grenze zwischen Tag und Nacht, wenn die Dunkelheit der Wüste unter dem weiten Sternenhimmel und dem Halbmond nicht mehr vollkommen ist, sondern eine samtene Weichheit annimmt. Mit Ausnahme des jungen Mannes mußten sie um die Vierzig sein, aber bei Asiaten wußte man das nie so genau. Der eine trug eine Brille. In ihren Gläsern hatte zweimal die Morgensonne aufgeblitzt. Das war unvorsichtig, aber letzten Endes waren sie Amateure. Sie hatten bis zur Dämmerung gewartet, um zu seinem Versteck vorzurücken. Um im Dunkeln zu operieren, waren sie noch nicht geübt genug. Immerhin hatten sie innerhalb von sechs Tagen gelernt, Spuren zu verfolgen und ihm so nahe zu kommen, daß die endgültige Entscheidung unausweichlich war. Er hatte den Ort selber gewählt. Das verschaffte ihm entscheidende Vorteile.
    Vuks neuer Name war John Ericsson. Das war einfach und gut, anonym und in Amerika sehr gewöhnlich. Er hatte ihn sich nicht selbst ausgesucht, er hatte sich einfach nach der social security card gerichtet, die in seiner Innentasche steckte. Er hörte wieder, wie sie sich bewegten. Der Wind drehte sich, und der Geruch nach Zigarettenrauch verflog. Statt dessen nahm er, als die Kühle der Nacht schwand und der Sand zu glühen begann, den trockenen Duft der Wüste wahr, kleine würzige Nuancen, die wer weiß woher stammten. Die Temperatur näherte sich bereits 25 Grad Celsius. Obwohl September war, konnten es heute noch 40 Grad werden. Im Juli hatte er es schon erlebt, daß die Quecksilbersäule des Thermometers auf Maximum stand, also bei 65 Grad. Death Valley war zweifellos einer der heißesten Orte der Welt. Als es dämmerte, hatte er Wasser getrunken, er fühlte sich leicht in Kopf und Körper, während er darauf wartete, daß sie ihn fanden und ihm in die Falle gingen. Bestimmt hatten sie auch etwas getrunken, aber vielleicht nicht genug. Die trockene Wüstenhitze trog. Man hatte nicht das Gefühl, stark zu schwitzen, aber das war falsch. Trank man nicht genug Wasser, dehydrierte man, und das Hirn fing an zu kochen. Sein Wahlspruch war: Fülle jedes Molekül deines Körpers mit Wasser.
    Vor ihm lag die Wüste. Er befand sich etwas erhöht zwischen zwei verwitterten Felsformationen. Eine breite Schlucht stieg sanft zu ihm herauf. Man konnte seinen Hinterhalt umgehen, indem man rechts an den gräulichen Dornbüschen entlangschlich. Sie würden es mit einem Angriff an zwei Fronten versuchen. Die drei auf dem linken Flügel, die vom Gruppenältesten befehligt wurden, würden ihn von vorn angreifen, während der Chef und sein Englisch sprechender Leutnant die Felsen umklettern und von hinten angreifen würden. Die Attacke war innerhalb der nächsten halben Stunde zu erwarten. Von denen, die er bislang erlebt hatte, waren sie nicht die Besten, aber auch nicht die Schlechtesten. Sie schienen die Hitze und die Verpflanzung aus dem Stahl- und Glasdschungel der Großstadt in die verräterische Natur der
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