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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel
Autoren: Leif Davidsen
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etwas nervös, aber auch fasziniert in die tiefe Schlucht hinab. Toftlund schaute auf die Straße, die sich S-förmig auf die Stadt zuschlängelte. Ein dunkler Volvo Kombi mit getönten Scheiben fuhr durch die Haarnadelkurven und arbeitete sich den Hügel hinauf. Der etwas verwirrte Mann, der sich ein bißchen Geld verdiente, indem er die Autos der Touristen einwies, tauchte auf dem Parkplatz auf. Er verbrachte den Tag meistens im Schatten eines großen Baums, und sein unrasiertes Gesicht zeigte immer dasselbe erwartungsfrohe Grinsen. Der Volvo nahm die nächste Kurve. Hinter dem Steuerrad saß ein Farbiger. Es war nicht Juan. Ein zweites Auto begann an der ersten Kurve ebenfalls den steilen Aufstieg. Toftlund schaute wieder zur Altstadt hinüber und sah, wie ein junger Mann die Brücke betrat.
    Es war Vuk.
    Vuk hatte Toftlund nicht gesehen. Er sah zu Mike hinüber, der aus dem schwarzen Volvo stieg und grüßend den Arm hob. Vuk empfand große Erleichterung. Es war überstanden. Vorhin hatte er in der kleinen Pension in der Altstadt, in die er gestern vormittag umgezogen war, Mikes SMS erhalten. Die neue Pension ähnelte der alten, aber er vermißte den Papagei und den alten Mann mit der Zeitung. Das Licht war so klar heute morgen, und in der Hitze waren die Düfte so intensiv wie nach einem Frühlingsregen in der Wüste. Seit der Nacht mit Mustafa hatte er praktisch nicht geschlafen. Er wagte es nicht. Das eine Mal, als er eingenickt war, hatte sich die Blutwalze so lebensecht und grausam ihren Weg gebahnt wie seit Jahren nicht mehr, und er war mit einem Schrei aus dem Schlaf geschreckt, als die kleine Pensionswirtin keifend an seine Tür pochte. Er sah Mustafas Gesicht ständig vor sich. Es war, als glotzte es ihn nicht böse, sondern enttäuscht an. Es war schmerzverzerrt, und mit einemmal schwammen kleine Ratten in seinen jetzt leeren Augen. So etwas hatte er nach einer Aktion noch nie erlebt. Er hatte Alpträume gehabt, das schon, aber doch keine Halluzinationen am hellichten Tag. Aber nun hatte dieses Leben endlich ein Ende. Nun warteten Anna, Jonathan und Cathy auf Kauai. Nun warteten die breiten Strände, die Palmen und das endlose Meer. Die Blutwalze würde noch lange rollen, womöglich immer, aber das Meer und Anna würden ihrer zermalmenden Amokfahrt über Menschen hinweg schließlich Einhalt gebieten, und damit würde auch die Vergangenheit ein Ende haben. Die Blutwalze würde stehenbleiben. Vielleicht in Zeitlupe, so wie er heute morgen ohnehin alles sah, aber irgendwann würde sie rostig und verwittert sein und sich nie mehr in Bewegung setzen. Sein Leben würde ihr keinen Anlaß mehr geben. Er war so müde. Er konnte sich nur noch auf Mike konzentrieren, der auf ihn wartete. Nur noch die letzten Schritte, dann war es vorbei. Erst jetzt spürte er den ungeheuren Druck, unter dem er gestanden hatte. Als verlangte sein Körper plötzlich Schlaf, nur Schlaf. Eigentlich sollte er erleichtert sein, und er war es wohl auch. Es hatte geklappt. Er war am Ende des Weges angelangt. Planung ist alles, hatte sein alter Kommandant immer gesagt. Planung und Sorgfalt schlossen aus dem Spiel beinahe jede Zufälligkeit und jeden Glücksfall aus. Aber als er fast noch ein Halbwüchsiger war, so jung war er damals gewesen, hatte der Kommandant auch oft zu ihm gesagt: Aber das Leben ist ein Spiel, Vuk. Glück muß man haben. Niemand kann sich dagegen wappnen, daß der Zufall einen Joker ausspielt, mit dem niemand gerechnet hat.
    Vuk trug eine lange, helle Hose und eine kurze Windjacke über einem weißen T-Shirt. Toftlunds Herz hämmerte. Vuk hielt kurz inne, dann setzte er sich langsam in Bewegung. Dieser verfluchte Mörder lief so cool daher, als gehörte ihm die ganze Welt! Weil er wußte, daß er beschützt wurde und sich nicht um die Polizei zu scheren brauchte.
    Toftlund zog seine Pistole und preßte sie gegen seinen rechten Oberschenkel. Er ließ Vuk die Mitte der Brücke erreichen, dann rannte er los. Vuk stoppte und steckte die Hand in die Tasche. Trotz der Sonnenbrille sah Toftlund, daß sich Überraschung und Verwunderung auf seinem Gesicht zeigten. Dann erkannte Vuk ihn wieder. Toftlund hob die Waffe, hielt sie mit beiden Händen fest und ging langsam auf ihn zu.
    »Ganz still. Keine Bewegung, Vuk«, sagte er auf dänisch. Vuks Augen konnte er hinter der schwarzen Sonnenbrille nicht erkennen. »Ganz still, Vuk. Nichts würde ich lieber tun, als dich wie den Hund abzuknallen, der du bist, aber leg dich auf den
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